Am Arbeitsplatz ankommen und direkt loslegen? Für Schreibtischhelden*innen durchaus möglich, die bekommen ihren gelungenen Office-Look aber auch nicht bezahlt – so viel dürfen wir schon verraten. Anders sieht es in Berufen aus, wo beispielsweise Schutz- oder Arbeitskleidung erforderlich ist.
Hier stellt sich automatisch die Frage, ob die Umkleidezeit zugleich Arbeitszeit ist. Damit Sie bei der Beurteilung auf der sicheren Seite sind, haben wir diesen Beitrag nach aktueller Rechtsprechung vorbereitet.
Kurz erklärt
- Eine pauschale Regelung darüber, ob das Umziehen zur Arbeitszeit zählt, gibt es nicht. Das ist individuell und hängt sowohl von der Tätigkeit als auch den Umständen des Arbeitsplatzes ab.
- Ob die Umkleidezeit auch Arbeitszeit ist, ergibt sich aus zwei entscheidenden Fragen:
- Befriedigen Arbeitnehmende damit die Bedürfnisse eines Dritten?
- Ist Arbeitnehmenden zumutbar, die Arbeitskleidung in der Öffentlichkeit zu tragen?
Gesetzliche Grundlage
Eine einheitliche gesetzliche Vorgabe dazu existiert nicht. Generell spielt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) aber eine Schlüsselrolle. Das deshalb, weil das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Arbeitszeitgesetz als Vorgabe für die eigene Rechtsprechung heranzieht – und die gesprochenen Urteile richtungsweisend sind.
Ist die Zeit zum Umziehen Arbeitszeit?
Die kurze Antwort: Es ist kompliziert. Denn: Die Frage lässt sich immer nur berufsspezifisch und individuell beantworten. Aber dafür gibt es ja uns. Behalten Sie zwei wichtige Schlüsselfragen im Hinterkopf:
- Ist eine berufsspezifische Arbeitskleidung vorgeschrieben und/oder zur Ausübung des Berufes erforderlich?
- Ist es Arbeitnehmenden zumutbar, in der Öffentlichkeit in dieser Arbeitskleidung aufzutreten?
Um die Situation detailliert und anwendungsspezifisch zu beleuchten, haben wir Ihnen die nachfolgende Tabelle mit Beispielen zur Orientierung vorbereitet.
Branche/Job | Zählt Umziehen zur Arbeitszeit? | Begründung |
Krankenhaus | Ja, sowohl stationär als auch im OP | Die Kleidung muss speziell im OP keimfrei sein und darf erst vorher angezogen werden. Des Weiteren ist Arbeitnehmenden nicht zumutbar, Krankenhaus-Kasacks auf dem Arbeitsweg zu tragen. |
Produktion mit Schutzkleidung (Chemie- und Lebensmittelbranche) | Ja | Die Schutzkleidung ist vorgeschrieben und muss labortechnischen Anforderungen entsprechen. Sie auf den Arbeitsweg zu tragen, würde sie potenziell verunreinigen. |
Einzelhandel | Normalerweise nicht | Es ist Arbeitnehmenden typischerweise zumutbar, gewöhnliche Verkaufskleidung auf dem Arbeitsweg zu tragen, sogar wenn diese von einer bestimmten Marke (dem Arbeitgebenden) sein muss. |
Bürojobs | Nein | Ob Kostüm, Anzug oder Smart Casual: Alles ist in der Öffentlichkeit und damit auf dem Arbeitsweg anstandslos tragbar. |
Feuerwehr | Ja | Es ist Feuerwehreinsatzkräften nicht zumutbar, in voller Einsatzmontur zur Arbeitsstätte (der Feuerwehrstation) zu fahren. |
Wie viele Minuten Umkleidezeit sind angemessen?
Hier gibt es erneut keine feste Regel. Letztlich ist das von verschiedenen Faktoren abhängig, die zudem nicht immer frei von Arbeitnehmenden beeinflusst werden können. Arbeitgebenden hilft an dieser Stelle, die Zeit zwischen mehreren Arbeitnehmenden zu mitteln, um einen groben Orientierungswert zu schaffen. Trotzdem kann es sein, dass einige Mitarbeitende schlicht etwas länger brauchen – das wäre noch erlaubt, sofern sie nicht unverhältnismäßig lang benötigen.
Beeinflusst wird die Umkleidezeit unter anderem davon:
- der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmenden (Beispiel: ältere Personen benötigen erwartungsgemäß länger als junge Menschen)
- Ob bestimmte Maschinen für die Arbeitskleidung bereitgestellt werden, wo sich diese befinden, wie lange sie für die Ausgabe benötigen und ob genügend solcher Maschinen vorhanden sind.
- Ob noch eine Reinigung (zum Beispiel Dusche oder Desinfizierung) stattfinden muss.
Hätten Sie es gewusst? Arbeitskleidung ist in Deutschland nur unterdurchschnittlich oft vorgeschrieben. Das ermittelte Reuters gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut Ipsos. Demnach tragen lediglich 18 % der Arbeitnehmenden eine vorgeschriebene Arbeitsuniform. Zum Vergleich: In Ungarn waren es 40 %, in Australien 38 %. Business-Looks sagen den Deutschen auch nicht überdurchschnittlich oft zu: Da kamen deutsche Arbeitnehmende nur auf 31 %, in asiatischen Ländern waren es rund 45 %.
Ist die Umkleidezeit als Arbeitszeit zu vergüten?
Sie werden sicherlich schon ein Schema erkennen, denn: Es ist wieder einmal individuell. Hier können wir aber erneut einer logischen Argumentation folgen:
Ist das Umziehen als Arbeitszeit anzurechnen?
- Falls ja: Dann ist es auch zu vergüten.
- Falls nein: Dann muss keine Vergütung erfolgen.
Die Höhe der Vergütung entspricht normalerweise der restlichen Arbeitszeit. Das regelt § 611 vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), der die vertragstypischen Pflichten zusammenfasst. Besteht die Pflicht zur Arbeitskleidung und ist Arbeitnehmenden nicht zumutbar, sie in der Öffentlichkeit zu tragen, muss die Umkleidezeit entsprechend der Arbeitszeit vergütet werden. Das Anwerfen der vorgeschriebenen Kleidung gehört dann zu den Leistungen, die Arbeitnehmende entsprechend ihres Vertrags erfüllen müssen.
Ausnahmen davon bilden unter Umständen Tarifverträge. Dort kann individuell geregelt sein, dass die Umkleidezeit nicht vergütet werden muss oder sie alternativ nicht identisch zur Arbeitszeit vergütet wird. Denkbar ist dann beispielsweise ein fixer Betrag, unabhängig von der tatsächlichen Umkleidezeit.
Ist der Weg zur Umkleidekabine ebenfalls Arbeitszeit?
In den meisten Fällen schon. Arbeitgebende müssen das Umziehen zur Arbeitszeit zählen und entsprechend vergüten, sofern ein Umweg notwendig ist.
Dazu ein einfaches Beispiel: Im Krankenhaus muss sich eine Pflegefachkraft umziehen. Der Automat für die Kasacks steht im 3. Stockwerk, die Pflegefachkraft arbeitet aber im 1. Stockwerk. Der Umweg, hin zum 3. Stockwerk und zurück, ist damit Umkleide- und Arbeitszeit.
Läuft die Pflegefachkraft auf dem Weg hin zur eigenen Station sowieso an einem Kasack-Automaten vorbei, wäre der Weg hingegen nicht zu vergüten. Ebenso wenig, wenn die Umkleidekabine sowieso aufgesucht wird, beispielsweise um die mitgebrachte Tasche und Geldbörse zu verstauen.
Tipp: So umständlich diese Regelung auch ist: Mit der Zeiterfassungssoftware von Factorial ist es egal, wo und wann der Mitarbeitende seine Arbeitszeit erfassen muss – dank der Möglichkeit zur mobilen Zeiterfassung, die ganz einfach über die Handy-App stattfindet. Sie als Arbeitgebender behalten immer den Überblick über die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeitenden und können sogar Push-Benachrichtigungen als Erinnerungen versenden.
Umziehen in der Arbeitszeit: Gerichtsurteil – was sagt die deutsche Rechtsprechung?
Schon eingangs wiesen wir darauf hin, dass die Verbindung zwischen dem Umziehen und der Arbeitszeit stets individuell zu betrachten ist, da keine allgemeingültigen gesetzlichen Vorgaben existieren. Folglich dienen zur Orientierung immer gültige Gerichtsurteile. Als richtungsweisend galten bisher diese:
- Bundesarbeitsgericht (BAG) 5 AZR 678/11: Umziehen ist Arbeitszeit, wenn die Arbeitskleidung vorgeschrieben wird und in der Öffentlichkeit nicht zumutbar ist.
- BAG 5 AZR 382/16: Wegzeiten zur Umkleide und Arbeitskleidungsausgabe sind zu vergüten, wenn ein zusätzlicher Zeitaufwand/Umweg dadurch entsteht.
- BAG 5 AZR 168/16: Streiten sich Arbeitnehmende und Arbeitgebende darüber, wie viel Zeit für das Umziehen nötig ist, darf das Gericht eine plausible Zeitspanne schätzen und festsetzen.