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Primacy-Recency-Effekt: Definition und Beispiele

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7 Minuten Lesezeit
Primacy-Recency-Effekt: Definition und Beispiele

Kennen Sie das: Ein erster Eindruck ist so stark, dass er schwer korrigierbar ist? Oder dass Sie sich an die letzten Worte eines Gesprächs besonders gut erinnern? Das ist kein Zufall. Dahinter steckt ein psychologisches Phänomen, das als Primacy-Recency-Effekt bekannt ist.

In diesem Artikel erklären wir, was es damit auf sich hat und wie dieser Effekt unser Verhalten im beruflichen Kontext beeinflusst.

Key Facts

  1. Der Primacy-Recency-Effekt ist ein psychologisches Phänomen, das beschreibt, dass wir uns am besten an Informationen erinnern, die am Anfang und am Ende einer Reihe präsentiert werden.
  2. Das Phänomen setzt sich aus dem Primacy-Effekt (bessere Erinnerung an erste Informationen) und dem Recency-Effekt (bessere Erinnerung an letzte Informationen) zusammen.
  3. Der Primacy-Recency-Effekt kann zu Beurteilungsfehlern am Arbeitsplatz führen, aber auch aktiv für eigene Zwecke wie Präsentationen und Verhandlungen genutzt werden.

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Primacy-Recency-Effekt: Was ist das?

Der Primacy-Recency-Effekt ist ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen. Er setzt sich aus zwei voneinander unabhängigen, aber eng miteinander verbundenen Wahrnehmungsphänomenen zusammen: dem Primacy-Effekt und dem Recency-Effekt.

Die Kombination der beiden Effekte beschreibt einen psychologischen Vorgang, wie unser Gedächtnis Informationen verarbeitet und speichert, die uns in einer bestimmten Reihenfolge präsentiert werden. Dabei erinnern wir uns am besten an das, was am Anfang und am Ende einer Sequenz steht. Aus diesem Grund wird der Primacy-Recency-Effekt oft auch Reihenfolgeeffekt oder Positionseffekt genannt.

Primacy-Effekt – Der erste Eindruck zählt

Die ersten Impressionen einer Serie, einer Liste oder eines Treffens prägen unser Gedächtnis oft so stark, dass sie einen überproportionalen Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben und diese somit verzerren.

Dieser Effekt gilt aber nicht nur für Informationen, sondern auch für Situationen und Eindrücke. So beschreibt der Primacy-Effekt die Tatsache, dass der erste Eindruck am stärksten in unserem Gedächtnis haften bleibt und sozusagen den Gesamteindruck bestimmt. Dabei kann die Gesamtbeurteilung je nach Eindruck negativ oder positiv verzerrt werden.

Der Primacy-Effekt geht zurück auf die Forschungen des deutschen Psychologen Hermann Ebbinghaus. Er fand heraus, dass Menschen sich an die ersten Elemente einer Liste besser erinnern können. Später wurde der Effekt vom amerikanisch-polnischen Psychologen Solomon Asch weiterentwickelt. Dieser zeigte, dass frühe Informationen bzw. der erste Eindruck über eine und von einer Person entscheidend für den Gesamteindruck sind.

Übersetzung

Auf Deutsch wird der Primacy-Effekt auch Primat-Effekt, Erster Effekt oder Primäreffekt genannt.

Typische Beispiele für den Primacy-Effekt:

Beispiel 1

Ein typisches Beispiel für den Primacy-Effekt sind Bewerbungsgespräche. Der erste Eindruck ist oft der wichtigste. Stellen wir uns vor:

Bewerberin X kommt mit einem positiven Erscheinungsbild, einer offenen Haltung und einem zugänglichen Wesen zum Vorstellungsgespräch. Sie wirkt selbstbewusst und scheint sich mit allen Gesprächspartner*innen gut zu verstehen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs stellt sich jedoch heraus, dass einige ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten nicht wirklich zur Stelle passen. Dennoch wird sie schließlich eingestellt, da sie einen positiven ersten Eindruck hinterlassen hat.

Bewerber Y hingegen ist etwas schüchterner, seine Körperhaltung ist schlaff, er schaut den Personaler*innen nicht in die Augen und antwortet nur ausweichend und vage auf Fragen. Erst gegen Mitte des Gesprächs wirkt er aufgewärmt und kann etwas über seine Qualifikationen erzählen. Obwohl Bewerber Y bessere und geeignetere Qualifikationen als Bewerberin X hat, wird er aufgrund des negativen Ersteindrucks nicht für die Stelle ausgewählt.

Beispiel 2

Ein weiteres Beispiel für den Primacy-Effekt findet sich häufig bei Präsentationen. Auch hier ist der erste Eindruck entscheidend. Beginnt jemand eine Präsentation mit einer monotonen und einschläfernden Stimme, schalten wir sofort ab. Beginnt er jedoch spannend und rhetorisch gewandt, hören wir zu und bewerten den Vortrag positiv.

Dasselbe gilt für Informationen. Die Informationen, die uns in einer Präsentation zuerst gegeben werden, behalten wir auch am besten. Das ist wichtig, denn es bedeutet, dass auch Sie bei Präsentationen die wichtigsten Informationen immer zu Beginn an Ihr Team, Ihre Kund*innen etc. weitergeben sollten.

Recency-Effekt – der letzte Eindruck bleibt

Bei diesem Gedächtnisphänomen geht es wiederum darum, dass Menschen sich besonders gut an die zuletzt vermittelte Information erinnern und diese behalten können. Der Recency-Effekt beschreibt also, dass der letzte Eindruck einer Sache oder einer Person besonders stark in Erinnerung bleibt.

Übersetzung

Auf Deutsch wird der Recency-Effekt auch Rezenzeffekt genannt.

Typische Beispiele für den Recency-Effekt:

Beispiel 1

Ein klassisches Beispiel ist folgende Situation: Ein Unternehmen unterhält mit seinem Kunden X seit langem gute Geschäftsbeziehungen. Zahlungen und Lieferungen erfolgen immer pünktlich. Unerwartet gerät der Kunde in Zahlungsschwierigkeiten und kann viele Bestellungen nicht mehr bezahlen. Das Schlimme daran ist, dass die Kommunikation des Kunden fatal ist. Er bricht die Geschäftsbeziehung abrupt ab und meldet sich nie wieder. Die bisher positive Geschäftsbeziehung wird im Nachhinein als negativ empfunden und bewertet.

Beispiel 2

Das Gedächtnisphänomen des Recency-Effekts ist auch bei Leistungsbeurteilungen häufig anzutreffen. Das bedeutet, dass die jüngsten Leistungen von Mitarbeitenden die Beurteilung tendenziell stärker beeinflussen als länger zurückliegende Leistungen. Mitarbeiter X, der kurz vor der Beurteilung besonders gute Leistungen erbracht hat, kann aufgrund dieser jüngsten Erfolge besser beurteilt werden. Und dies, obwohl sein Arbeitsverhalten in den letzten Jahren eher durchschnittlich war.

Umgekehrt wird bei Beschäftigten, die jahrelang gute Leistungen erbracht haben und plötzlich einen Fehler machen, dieser Fehler kurz vor der Leistungsbeurteilung tendenziell stärker in die Beurteilung einbezogen.

Primacy-Recency-Effekt: Die ersten und letzten Informationen zählen

Beim Primacy-Recency-Effekt werden die Effekte beider Gedächtnisphänomene nun zusammengeführt. Das bedeutet: Grundsätzlich merken wir uns die ersten und letzten Informationen einer Sache und unsere Beurteilung wird vor allem vom ersten und letzten Eindruck einer Person bestimmt.

Woran liegt das?

Grund für diese beiden Verzerrungen unserer Wahrnehmung ist meistens Folgendes:

Die ersten Informationen (Primacy-Effekt) haben mehr Zeit, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen, bevor neue hinzukommen und sie überlagern. Außerdem fand die Gedächtnisforschung heraus, dass die ersten Informationen als Anker für nachfolgende Informationen dienen.

Die Informationen, die uns zuletzt erreichen (Recency-Effekt) gelangen hingegen ins Kurzzeitgedächtnis. Hier sind sie noch frisch und somit leichter abrufbar.

Fazit: Insgesamt hat der Primacy-Recency-Effekt zur Folge, dass Informationen, die in der Mitte liegen, am ehesten vergessen oder nicht beachtet werden. Primacy- und Recency-Effekt widersprechen sich also nicht.

Positionseffekt

Beim Primacy-Recency-Effekt geht es im Grunde also darum, dass die Position Einfluss darauf hat, wie wir etwas wahrnehmen. Darum wird dieses Phänomen auch serieller Positionseffekt genannt. Unsere Erinnerungsleistung folgt dabei einer U-Kurve bzw. U-Form.

Die Kurve zeigt in Studien eine erhöhte Erinnerungsgenauigkeit für Informationseinheiten am Anfang und am Ende einer Liste mit einem Abfall in der Mitte. Diese Kurvenform ist eine visuelle Darstellung des seriellen Positionseffekts.

Primacy-Recency-Effekt: Beispiel

Bei Präsentationen ist es in der Regel nicht so wichtig, was in der Mitte gesagt wird. Entscheidend ist, was am Ende und am Anfang stattfindet. Die Zuhörenden merken sich besonders den ersten Teil der Präsentation (hier sollten also die wichtigsten Inhalte stehen) und den Schluss, der für eine Call-to-Action oder Ähnliches genutzt werden kann.

Was ist das Problem bei diesen Effekten?

Worin besteht nun aber das Problem bei diesen Gedächtnisphänomenen?

Wahrnehmungsverzerrung

Der Primacy-Recency-Effekt kann dazu führen, dass wir ein verzerrtes Bild von einer Person, einer Situation oder einem Sachverhalt erhalten. Beispielsweise können wir aufgrund des ersten Eindrucks voreilige Schlüsse ziehen und spätere, widersprüchliche Informationen ignorieren. Die Wahrnehmung ist damit nicht objektiv und unter Umständen ungerecht.

Beurteilungsfehler

Die Folge dieser Wahrnehmungsverzerrung sind gerade im Arbeitskontext häufig Beurteilungsfehler, die Personaler*innen unterlaufen können. So können Mitarbeitende falsch, also beispielsweise zu positiv oder zu negativ bewertet und eingeschätzt werden. Die Beurteilung stimmt in diesem Fall aufgrund des Primacy-Recency-Effekts nicht mit der Realität überein.

Manipulation

Der Effekt spielt im Marketing eine große Rolle und kann bewusst zur Manipulation von Menschen genutzt werden. Wichtige Informationen werden an den Anfang oder an das Ende eines Spots gestellt, sodass sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese Informationen im Gedächtnis bleiben.

So vermeiden Sie den Primacy-Recency-Effekt

Wie bei allen Wahrnehmungsverzerrungen gilt auch hier, dass unsere Wahrnehmung nie zu 100 % objektiv sein wird. Wir sollten unsere Urteile immer wieder überprüfen, besonders wenn wir mit Menschen zu tun haben.

Bei Bewerbungsgesprächen kann es z. B. hilfreich sein, wenn mehrere Personen an dem Gespräch teilnehmen. Jede*r nimmt die jeweiligen Bewerbenden anders wahr, denn jede*r hat andere Maßstäbe und Kriterien, die er oder sie für wichtig hält. Eine Vielfalt an Meinungen führt zu mehr Objektivität.

Darüber hinaus sind Notizen hilfreich, insbesondere wenn es um die Beurteilung der Leistung von Mitarbeitenden geht. Machen Sie sich regelmäßig Notizen über die Performance und Entwicklung Ihrer Angestellten. Wenn es dann zu einem Mitarbeitergespräch oder einer Beurteilung kommt, können sie nicht so leicht durch ihre Wahrnehmung getäuscht werden.

Auch die Erstellung objektiver Kriterien kann hilfreich sein, subjektive Verzerrungen zu vermeiden.

Und ganz wichtig ist der zeitliche Abstand. Mit etwas Distanz sieht man die Dinge noch einmal ganz anders. Nehmen Sie sich also Zeit, halten Sie inne, bevor Sie ein vorschnelles Urteil fällen oder eine Entscheidung treffen.

So wenden Sie den Primacy-Recency-Effekt richtig an

Der Primacy-Recency-Effekt kann aber auch an bestimmten Stellen – insbesondere im Arbeitskontext – für eigene Zwecke positiv genutzt werden.

Wie bereits erwähnt, können Sie sich diesen Effekt beispielsweise bei Präsentationen zunutze machen, indem Sie wichtige Informationen gleich zu Beginn präsentieren und diese am Ende wiederholen bzw. mit einer Handlungsaufforderung verbinden.

Auch bei Verhandlungen mit Kund*innen sollten Sie daran denken, dass der erste Eindruck entscheidend ist. Beenden Sie zudem das Gespräch mit einer klaren Zusammenfassung und einem positiven Ausblick. Wichtig: Es ist hilfreich, die wichtigsten Punkte zu wiederholen, damit sie den Gesprächspartner*innen im Gedächtnis bleiben.

Der Primacy-Recency-Effekt kann auch zeitlich genutzt werden: Wichtige Gespräche mit Kund*innen oder Mitarbeitenden sollten immer am Anfang der Woche oder am Anfang des Tages und immer gegen Ende der Woche geführt werden.

Damit Ihr Unternehmen nach außen einen guten Eindruck macht, sollten Sie auch Ihre Personalpolitik überprüfen. Denn: Kund*innen erinnern sich vor allem daran, mit wem sie den ersten und letzten Kontakt hatten. Angestellte auf diesen Positionen sollten daher besonders freundlich und zuvorkommend im Umgang mit Kund*innen sein.

Tipp: Denken Sie daran, dass der Primacy-Recency-Effekt natürlich ebenso für Mitarbeitende und Bewerbende gilt. In Zeiten des Fachkräftemangels sollten Sie sich dieser Tatsache bewusst sein, denn auch für Talente, die sich bei Ihnen bewerben, zählt der erste Eindruck und der letzte Eindruck. Eine aktuelle Studie des BPM hat jüngst noch einmal unterstrichen, dass Bewerbende in Zukunft immer mehr Macht haben werden, wenn es um die Jobauswahl geht.

Julia Lehmann ist Schriftstellerin, Philosophin, Künstlerin und Übersetzerin und schreibt seit 3 Jahren über HR- und arbeitsbezogene Themen und Nachrichten.

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