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So vermeiden Sie Scheinselbstständigkeit im Unternehmen 

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8 Minuten Lesezeit
Scheinselbstständigkeit

Zuletzt machten immer wieder zahlreiche Kurierunternehmen Schlagzeilen im Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit. In vielen Städten Europas gehen Beschäftigte auf die Straßen, um gegen diese Form von Arbeitsverhältnissen zu demonstrieren.

Doch nicht immer ist es so offensichtlich wie bei den Kurierfahrer*innen. Gerade im Bereich der freien Mitarbeit kann es schnell dazu kommen.

In diesem Blogartikel zeigen wir Ihnen, wann Scheinselbstständigkeit vorliegt und wie diese im Unternehmen vermieden werden kann.

Key Facts

  1. Bei Scheinselbstständigkeit ist die unternehmerische Freiheit nicht gewährleistet.
  2. Freelancer und freie Mitarbeitende sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt.
  3. Scheinselbstständigkeit ist illegal und kann zu hohen Nachzahlungen führen.

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Scheinselbstständigkeit: Definition

Scheinselbstständigkeit ist definiert als Arbeitsverhältnis, bei dem

  • Beschäftigte formal eine „selbstständige“ Tätigkeit ausüben,
  • tatsächlich nach objektiven Kriterien aber eine abhängige Beschäftigung verrichten, die als solche sozialversicherungspflichtig angemeldet werden müsste.

Bei Scheinselbstständigkeit liegt also ein Missverhältnis zwischen dem formalen und arbeitsrechtlichen Status des Arbeitsverhältnisses vor. Es handelt sich dabei um eine illegale Praxis. Sie kann für Auftraggeber und Auftragnehmer hohe Nachzahlungen zur Folge haben.

Um das Kernproblem der Scheinselbstständigkeit zu verstehen, hilft eine Gegenüberstellung der Definition von Selbstständigen und Beschäftigten.

Selbstständige: Definition

Die folgenden Merkmale treffen auf Selbstständige zu:

  • Sie verfügen selbstbestimmt über ihre Arbeitszeit und -kraft.
  • Die Selbstständigen unterliegen keiner Weisungsbefugnis durch einen Arbeitgeber und können ihre Tätigkeit also frei gestalten (unternehmerische Entscheidungsfreiheit).
  • Selbstständige handeln eigenverantwortlich, tragen aber auch selbst das unternehmerische Risiko.
  • Sie sind in den gesetzlichen Sozialversicherungen nicht versicherungspflichtig.

Beschäftigte: Definition

Im Gegensatz dazu sind Beschäftigte arbeitsrechtlich besonders geschützt. Ihr rechtlicher Status ergibt sich aus § 7 SGB 4. Als Beschäftigte sind hiernach Arbeitnehmer zu verstehen, die:

  • sozialversicherungspflichtig sind,
  • eine Tätigkeit auf Weisungen des Auftraggebers ausüben. Hierzu gehören unter anderem die Bestimmung des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und des Arbeitsinhaltes.
  • eingegliedert sind in eine Arbeitsorganisation. Hierzu zählt bspw. ein monatlich fälliges Arbeitsentgelt, ein fester Arbeitsplatz, die Entgeltfortzahlung bei Urlaub oder im Krankheitsfall.

Scheinselbstständigkeit Definition

Wann spricht man von Scheinselbstständigkeit?

Bei Scheinselbstständigkeit spricht man also, wenn im Gegensatz zur tatsächlichen Selbstständigkeit die Selbstbestimmtheit nicht vorhanden ist. Die Selbstständigen arbeiten stattdessen wie abhängig Beschäftigte weisungsgebunden. Sie können sich Arbeitszeit-, -ort oder auch -inhalt oft nicht frei aussuchen. 

Was ist das Problem von Scheinselbstständigkeit?

Scheinselbstständigkeit wirkt sich gleich in drei Bereichen problematisch aus:

Der Status des Selbstständigen führt dazu, dass sie nicht die gleichen Rechte haben wie Festangestellte. Dazu zählen Aspekte wie Entgeltfortzahlungen, aber auch finanzielle Sicherheit. 

Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung fand heraus, dass sich 94 Prozent der freien Mitarbeiter*innen gegenüber Festangestellten benachteiligt fühlen. Weitere 66 Prozent erhalten nach eigenen Aussagen weniger Geld für die gleiche Arbeit.

  • Sozialversicherung

Da die scheinselbstständigen Auftragnehmer keine Beschäftigten im juristischen Sinne sind, müssen Auftraggeber keine Beiträge zur Sozialversicherung zahlen.

  • Steuerrecht

Darüber hinaus zahlen Arbeitgeber auch keine Lohnsteuer für die Auftragnehmer*innen.

Wer ist besonders betroffen?

Grundsätzlich kann jeder Selbstständige, der Auftragsarbeiten ausführt, von Scheinselbstständigkeit betroffen sein. In den folgenden Berufen und Branchen tritt sie besonders häufig auf:

  • Beratung,
  • Film- und Fernsehbranche,
  • Journalismus,
  • Plattform Beschäftigte, bspw. Kurierfahrer*innen,
  • Speditionsgewerbe,
  • Baubranche/Handwerker*innen,
  • Lehrkräfte,
  • Gebäudereinigung.

Aktuelle Studien zum Anteil an Scheinselbstständigen bei den Selbstständigen gibt es derzeit noch nicht. Eine Studie des IAB stellte allerdings bereits im Jahr 2017 eine wachsende Tendenz in diesem Bereich fest.

Exkurs: Freiberufler vs. Freelancer

Die Gefahr der Selbstständigkeit unterscheidet sich durch die unterschiedlichen Formen der Selbstständigkeit. Daher ist es sinnvoll, sich als Personaler*in einen Überblick über mögliche Auftragnehmer*innen zu verschaffen.

  • Freiberufler*innen: Freiberufler*innen werden in Deutschland bestimmten Berufen zugeordnet. Das sind die freien Berufe, die keiner Gewerbeordnung unterliegen. Hierzu zählen bspw. Anwälte oder auch Künstler*innen.
  • Freelancer und freie Mitarbeitende: Die Begriffe lassen sich weitestgehend synonym verwenden. Es handelt sich hier um Personen, die projektbezogen für unterschiedliche Auftraggeber arbeiten. Ihre persönliche Unabhängigkeit ist in der Arbeitsgestaltung dabei essenziell. Der Begriff Freelancer wird eher in der IT-Branche verwendet. Der Begriff freie Mitarbeitende ist dagegen typisch für die Werbe-, aber auch Film- und Fernsehbranche.

Scheinselbstständigkeit: Freelancer und freie Mitarbeitende

Freelancer und freie Mitarbeitende haben ein höheres Risiko für Scheinselbstständigkeit

  • Es kann schnell passieren, dass diese Personen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Zudem sind sie in die Arbeitsorganisation eingebunden.
  • Immer wieder gibt es bspw. Berichte von freien Mitarbeitenden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die von Scheinselbstständigkeit berichten.

Gewerbetreibende

  • Gewerbetreibende sind Unternehmer*innen, die einen Betrieb führen, der auf Gewinn ausgerichtet ist. Sie müssen die Gewerbesteuer zahlen. Dies gilt nicht, wenn sie Kleinunternehmer sind (aktuell: Umsatz im Vorjahr unter 22.000 €).
  • Ob oder wann als selbstständige Person ein Gewerbe angemeldet werden muss, ist nicht immer eindeutig.
  • Das zuständige Gewerbeamt hilft bei der Unterscheidung. Je nach Grad der künstlerischen Freiheit kann so ein Fotograf als Freiberufler*innen oder als Gewerbetreibender zählen.

Scheingewerbe und Scheinselbstständigkeit Kleinunternehmer

  • Bei gewerblichen selbstständigen Tätigkeiten, bei denen tatsächlich ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, spricht man umgangssprachlich oft von „Scheingewerbe“.
  • Dies ist EU-weit bei den verschiedenen Kurierdiensten oder bei Call-Center-Mitarbeitenden oft der Fall. Gefährdet sind insbesondere Kleinunternehmer, die ein niedriges Einkommen haben und oft nur wenige Auftraggeber haben.

Scheinselbstständigkeit Beispiel

Eine Webdesignerin arbeitet ausschließlich für eine Agentur, ist in dieser täglich eingebunden, auch an deren Arbeitszeiten gebunden.  Obwohl sie ein Gewerbe angemeldet hat, ist sie nur für ein Unternehmen tätig. Damit ist sie in Wirklichkeit scheinselbstständig.

Scheinselbstständigkeit prüfen

Scheinselbstständigkeit prüfen

Es gibt verschiedene Instanzen, die ein Arbeitsverhältnis auf Scheinselbstständigkeit überprüfen können.

Wer stellt Scheinselbstständigkeit fest?

Die Deutsche Rentenversicherung Bund prüft im Schnitt alle vier Jahre über die Clearingstelle der Rentenversicherung in einem Statusfeststellungsverfahren. 

Die Clearingstelle kann jedoch auch von Auftraggebern und -nehmern auf Eigeninitiative hin in Anspruch genommen werden. Der Status des Arbeitsverhältnisses kann also jederzeit überprüft werden.

Darüber hinaus prüfen bei Verdacht der Scheinselbstständigkeit:

  • Finanzämter,
  • Krankenkassen,
  • Arbeitsgerichte,
  • ggf. Auftragnehmer und/oder -geber.

Welche Kriterien bestehen für Scheinselbstständigkeit?

Die Prüfung erfolgt oft auf Einzelfallbasis. Es gibt allerdings bestimmte allgemeine Kriterien, die für eine Scheinselbstständigkeit sprechen.

Scheinselbstständigkeit – Kriterien

  • Der „Selbstständige“ ist in einem Arbeitsplatz integriert (z. B. in den Räumen des Auftraggebers, mit eigenem Schreibtisch oder sogar Büro).
  • Die Arbeit erfolgt weisungsgebunden, d.h. über die Arbeitszeit und -ort kann nicht frei verfügt werden. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit vom Auftraggeber ist also entscheidend.
  • Die gleiche Tätigkeit wird im gleichen Betrieb auch von Festangestellten ausgeübt.
  • Auftragnehmer*innen haben die gleiche Tätigkeit im selben Unternehmen bereits zuvor als festangestellte Arbeitnehmer*innen ausgeübt.
  • ⅚ des Umsatzes werden beim gleichen Auftraggeber erwirtschaftet.
  • Etwa 80 Prozent der Aufträge erfolgen bei nur einem Auftraggeber.
  • Die selbstständige Person beschäftigt selbst keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

Was droht bei Scheinselbstständigkeit?

Dem Staat entgehen durch Scheinselbstständigkeit hohe Einnahmen an Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Außerdem werden mit der Scheinselbstständigkeit Arbeitnehmerrechte umgangen. Daher wird sie streng verfolgt und bestraft. Die Folgen sind sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht zu unterschätzen.

Nachzahlungen Scheinselbstständigkeit für Arbeitgeber

  • Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge: Wird ein Unternehmen als Auftraggeber eines Scheinselbstständigen überführt, müssen die Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen, also die Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherungen nachgezahlt werden. Hinzu kommen nicht unerhebliche Säumniszuschläge.
  • Nachzahlung der Lohnsteuer: Arbeitgeber müssen die Lohnsteuer ebenso nachzahlen. Je nach Höhe der Steuernachforderung wird der Vorfall als Ordnungswidrigkeit (leichtfertige Steuerverkürzung) oder im schlimmsten Fall als Straftat (Steuerhinterziehung) gewertet. Eine strafmildernde Selbstanzeige ist nicht mehr möglich, da die Ermittlung bereits läuft.
  • Umsatzsteuer: Die vom Auftragnehmer ausgewiesene Umsatzsteuer gilt bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit als unberechtigter Steuerausweis. Daher können Auftraggeber diese nicht von der Vorsteuer abziehen. Bereits in Abzug gebrachte Beiträge müssen an das Finanzamt zurückgezahlt werden.

Checkliste für HR: Scheinselbstständigkeit erkennen

Mit den zuvor genannten Kriterien und Definitionen haben HR-Manager*innen bereits ein gutes Rüstzeug, um Scheinselbstständigkeit im eigenen Betrieb zu erkennen und zu vermeiden.

Scheinselbstständigkeit: Checkliste

Darüber hinaus helfen Checklisten für einen ersten Selbstcheck. Steuerberatungsbüros oder aber auch branchenspezifische Magazine bieten übersichtliche Tests und Checklisten an.

So geht’s: Scheinselbstständigkeit vermeiden

Für Personaler*innen gibt es folgende Tipps, um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden:

Dienstvertrag

Schließen Sie mit Auftragnehmer*innen immer einen Dienst- und keinen Arbeitsvertrag ab. Ein Arbeitsvertrag regelt ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen. Ein Dienstvertrag regelt die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung zwischen Auftraggeber*innen und Auftragnehmer*innen.

Achtung: Gerade bei Freiberufler*innen und freien Mitarbeitenden gibt es diese klassische Unterscheidung oft nicht.

Sozialversicherungsbeiträge

Im Vertrag sollte ausgemacht werden, dass nur die Auftragnehmer*innen für die Abgabe der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich sind.

Keine Vollbeschäftigung

Vermeiden Sie lange Vollbeschäftigungszeiten eines bestimmten Auftragnehmers. Halten Sie dies im Vertrag fest.

Eine Integration in den Betrieb

Stellen Sie sicher, dass Auftragnehmer*innen nicht im Betrieb integriert sind (z. B. über einen eigenen und festen Arbeitsplatz).

Eigene Hard- und Software

Stellen Sie sicher, dass Auftragnehmer*innen ihr eigenes Equipment für die Erfüllung des Auftrags verwenden. Ist dies nicht möglich, vereinbaren Sie eine vertragliche Nutzungsgebühr.

Tipp: Lassen Sie bei Unsicherheiten ein Arbeitsverhältnis bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung prüfen.

Als Unternehmen können Sie die Thematik mit relativ einfachen Mitteln vermeiden. Vor allem, wenn Sie oft mit freien Mitarbeitenden zusammenarbeiten, ist eine regelmäßige Selbstüberprüfung empfehlenswert.

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Häufig gestellte Fragen und Antworten

Wann spricht man von Scheinselbstständigkeit?

Man spricht also, wenn im Gegensatz zur tatsächlichen Selbstständigkeit die Selbstbestimmtheit nicht vorhanden ist. Die Selbstständigen arbeiten stattdessen wie abhängig Beschäftigte weisungsgebunden. Sie können sich beispielsweise die Arbeitszeit nicht frei aussuchen.

Welche Kriterien bestehen für die Scheinselbstständigkeit?

Der Selbstständige ist in einem Arbeitsplatz integriert (z. B. in den Räumen des Auftraggebers, mit eigenem Schreibtisch oder sogar Büro). Die Arbeit erfolgt weisungsgebunden. Das heißt, über die Arbeitszeit und-ort kann nicht frei verfügt werden. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit vom Auftraggeber ist also entscheidend. Die gleiche Tätigkeit wird im gleichen Betrieb auch von Festangestellten ausgeübt. Auftragnehmer*innen haben die gleiche Tätigkeit im selben Unternehmen bereits zuvor als festangestellte Arbeitnehmer*innen ausgeübt. ⅚ des Umsatzes werden beim gleichen Auftraggeber erwirtschaftet. Etwa 80 Prozent der Aufträge erfolgen bei nur einem Auftraggeber. Die selbstständige Person beschäftigt selbst keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

Was droht bei Scheinselbstständigkeit?

Dem Staat entgehen durch Scheinselbstständigkeit hohe Einnahmen an Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern. Außerdem werden mit der Scheinselbstständigkeit Arbeitnehmerrechte umgegangen. Daher wird diese streng verfolgt und bestraft. Die Folgen sind sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht zu unterschätzen.

 

Sprachgewandt, neugierig und kreativ verfolgt unsere Autorin Marie-Louise Messerschmidt als SEO Content Writer die neuesten HR Trends. Als Teil des Content Marketing Teams arbeitet sie seit Mitte 2022 für Factorial HR. Nach ihrem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität Göttingen und Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München befasst sie sich bereits seit 2017 mit Themen im Personalbereich. Ihr Fokus liegt dabei besonders auf rechtlichen und strategischen Themen. Zuletzt hat sie einen Gastbeitrag zum Thema Personalverwaltung im OMT Magazin veröffentlicht.

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