Führungsstile gibt es mittlerweile einige. Gar nicht so einfach, den Richtigen für sich und sein Unternehmen zu finden. Für einen ersten Überblick und zur Einordnung stellen wir die verschiedenen Führungsstile genauer vor. Heute an der Reihe: Situativer Führungsstil.
Bei dieser Form des Führens geht es vor allem um Flexibilität und die Anpassung des Führungsstils an den jeweiligen Entwicklungsstand der Mitarbeitenden.
Was genau darunter zu verstehen ist und welche Vorteile er mit sich bringt, erklären wir im folgenden Artikel.
Key Facts
- Beim situativen Führungsstil wird die Form der Führung situativ an die Mitarbeitenden und die aktuelle Unternehmenssituation angepasst.
- Dieser Stil ist sehr voraussetzungsvoll: Führungskräfte müssen über Selbstreflexion, Empathie, Diagnosefähigkeit und Flexibilität verfügen, um die situative Führung effektiv umsetzen zu können.
- Sein größter Vorteil ist die individuelle Ausrichtung auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden.
- Was bedeutet situativer Führungsstil?
- Funktionsweise des situativen Führungsstils
- Voraussetzungen für den situativen Führungsstil
- Vor- und Nachteile des situativen Führungsstils
- Weitere Führungsstile – Welcher ist der richtige?
Was bedeutet situativer Führungsstil?
Definition – Situatives Führen
Der situative Führungsstil verlangt von den Führungskräften einiges ab, denn bei dieser Form des Führens gibt es keine grundsätzliche Führungslinie, an der sich Führungskräfte orientieren können, wie es beispielsweise beim patriarchalischen Führungsstil der Fall ist. Stattdessen geht es beim situativen Führen vor allem um Flexibilität.
Denn hier passen Führungskräfte den Stil des Führens an die jeweilige Situation an und modifizieren ihn. Die Art ist also abhängig von der aktuellen Situation der Arbeit, des Unternehmens, der jeweiligen Mitarbeitenden.
In diesem Stil würden also Mitarbeitende, die sehr selbstständig arbeiten, eher wenig streng geführt werden. Andere Mitarbeitende, die eher klare Aufgaben und eine starke Führung brauchen, würden vielleicht eher autokratisch bis patriarchalisch geführt werden, also mit ganz konkreten Anweisungen und klaren Vorgaben.
Der Tenor hier ist: Unterschiedliche Situationen und Menschen erfordern verschiedene Herangehensweisen.
Situativer Führungsstil nach Hersey und Blanchard
Die Entwicklung dieses Führungsstils geht auf die US-amerikanischen Forscher Hersey und Blanchard zurück. In den 60er Jahren stellten sie das Konzept der situativen Führung zum ersten Mal vor und verfeinerten es im Laufe der Zeit.
Im Englischen wird ihr Modell auch Situational Leadership Model genannt
Die beiden Wissenschaftler erkannten, dass kein Führungsstil in jeder Situation in einer Firma gleichermaßen wirksam ist und dass eine Führungskraft stattdessen ihr Führungsverhalten situativ anpassen muss. Hersey und Blanchard betonen hier insbesondere den Reifegrad der Mitarbeitenden, in dessen Abhängigkeit die Form der Führung angepasst werden sollte. Die Mitarbeitenden müssen da abgeholt werden, wo sie gerade stehen, um sie optimal zu motivieren und das Beste aus ihnen herauszuholen.
Der situative Führungsstil ist also ein Potpourri aus verschiedenen Führungsstilen.
Funktionsweise des situativen Führungsstils
Was bei dieser Form der Mitarbeiterführung genau zu berücksichtigen ist und wie Führungskräfte sich diese vorstellen können, erläutern wir im folgenden Abschnitt.
Grundsätzlich hängt die Entscheidung, wie welche Mitarbeitenden geführt werden sollen, von ihrem Reifegrad ab. Was bedeutet das genau?
Je nachdem, auf welcher Entwicklungsstufe sich die Beschäftigten befinden, wendet die Führungskraft eine andere Form der Führung an. Hersey und Blanchard haben hierzu vier verschiedene Stufen entwickelt, auf denen sich die Mitarbeitenden befinden können.
Das situative Modell konzentriert sich auf zwei Hauptdimensionen – die Aufgabenorientierung und die Personenorientierung. Die verschiedenen Reifegrade der Beschäftigten sind diesen Dimensionen zugeordnet. Sie bestimmen den Führungsstil einer Führungskraft.
Aufgabenorientierung
Bei dieser Dimension geht es darum, wie stark sich die Führungskraft auf die Planung, Strukturierung und Kontrolle von Aufgaben konzentriert.
Eine hohe Aufgabenorientierung bedeutet also, dass die Führungskraft sicherstellt, dass die Aufgaben der jeweiligen Angestellten genau nach den Vorgaben erledigt werden.
Die Anweisungen sind klar und die Aufgaben punktgenau definiert. Je höher die Ausprägung, desto engmaschiger ist die Kontrolle seitens der Führungskräfte, um sicherzustellen, dass alles wie geplant abläuft.
Personenorientierung
Im Gegensatz dazu geht es bei der Personenorientierung eher darum, wie stark der Fokus auf die einzelnen Mitarbeitenden gerichtet ist. Ist die Personenorientierung hoch, bedeutet dies, dass sich die Führungskraft darauf konzentriert, die Motivation, das Vertrauen und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu fördern und in den Mittelpunkt zu stellen.
In einem solchen Fall ist die Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden sehr ausgeprägt. Dabei geht es weniger um die Kontrolle einzelner Aufgaben als vielmehr um den Aufbau von Vertrauen und Motivation.
Die vier Stufen des situativen Führungsstils
Sehen wir uns nun im Folgenden die möglichen vier Entwicklungsstufen (Development Levels auf Englisch; dafür steht auch das D in jeder Stufe) bzw. Reifegrade an.
Stufe 1 (D1) – Anweisen
Diese Stufe wird bei Mitarbeitenden eingesetzt, die zwar hoch motiviert sind, aber noch wenig Erfahrung mit den spezifischen Aufgaben haben. Diese Personen benötigen daher klare Anweisungen, konkrete Vorgaben, wie sie etwas zu tun haben und auch bis wann und mit wem. Auf dieser Ebene geht es also weniger um die Bedürfnisse der Personen oder deren Förderung (den Antrieb haben sie ja meist selbst), sondern vor allem um Zielorientierung und korrekte Aufgabenerfüllung.
Situativer Führungsstil: Beispiel für Stufe 1
Ein typisches Beispiel auf dieser Ebene ist ein neuer Mitarbeitender, der gerade in das Unternehmen eingetreten ist. Neue Beschäftigte sind in der Regel sehr motiviert, müssen sich aber natürlich noch in ihre neue Rolle und die spezifischen Aufgaben ihrer Position einarbeiten. Sie benötigen daher gerade am Anfang sehr konkrete Anweisungen.
Die Führungskraft X würde den neuen Mitarbeitenden Y also anleiten: Für die Erstellung des Newsletters verwendest du diese Vorlagen und diesen Leitfaden. Du sammelst bis Mittwoch von allen Mitarbeitenden der Abteilung deren wöchentlichen Input und erstellst auf dieser Basis den Newsletter. Bis Freitag muss der Newsletter fertig sein. Bei Fragen wendest du dich an Kollegin Z.
Aber auch in Krisensituationen kann dieser Führungsstil zum Einsatz kommen, wenn eine oder wenige Führungskräfte die Situation steuern und die Belegschaft lediglich Anweisungen ausführen muss, um die Krise erfolgreich zu bewältigen.
Stufe 2 (D2) – Überzeugen
Auf dieser Stufe finden wir Mitarbeitende, die zwar inzwischen sehr gut wissen, was zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Tätigkeiten erforderlich ist, denen es aber an Selbstvertrauen mangelt oder bei denen die Motivation nachgelassen hat.
Auf dieser Stufe muss die Führungskraft also nicht mehr bei der Aufgabenorientierung ansetzen, sondern vor allem bei der Person selbst. Sie müssen die Person fördern, ihre Motivation steigern und vor allem erklären, warum bestimmte Dinge getan werden.
Stufe 3 (D3) – Partizipieren
Hier kann es sich um langjähriges oder sehr gut ausgebildetes Personal handeln, das bereits über ein sehr hohes Kompetenzniveau verfügt, dessen Motivation jedoch schwanken kann. Es ist wichtig, diesen Mitarbeitenden neue Anreize zu bieten. Auf dieser Stufe geht es den Führungskräften deshalb vor allem darum, die Mitarbeitenden einzubeziehen, ihnen möglicherweise mehr Eigenverantwortung für bestimmte Bereiche zu übertragen und sie zu stärken, um ihre Motivation zu steigern. Führungskräfte arbeiten vor allem daran, den jeweiligen Mitarbeitenden Wertschätzung und Anerkennung entgegenzubringen.
Stufe 4 (D4) – Delegieren
Diese Stufe gilt für Beschäftigte, die im Grunde kaum noch Führung benötigen, extrem motiviert und sehr kompetent sind. Führungskräfte delegieren nur noch Aufgaben an diese Mitarbeitenden. Diese bearbeiten die Aufgaben dann völlig selbstständig.
Voraussetzungen für den situativen Führungsstil
Dieser Führungsstil ist für die Führungskräfte nicht ganz voraussetzungslos und erfordert ein hohes Maß an emotionaler und menschlicher Kompetenz. Welche Kriterien sollten neben dem entsprechenden Fachwissen sonst noch für den Erfolg dieses Stils erfüllt werden?
- Persönliche Eigenschaften
Die Führungskraft muss über ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, eine gute Beobachtungsgabe und sehr gute Kommunikationsfähigkeiten verfügen. Sie sollte empathisch sein, aber auch konsequent und eindeutig handeln können, je nach Entwicklungsstufe.
- Organisatorisches
Für diesen Stil müssen die organisatorischen Rahmenbedingungen im Unternehmen stimmen. So kann es notwendig sein, die Mitarbeitenden zu schulen und zu fördern, z. B. in Form von Mentoring-Programmen oder Weiterbildungsmaßnahmen. Gleichzeitig muss die Struktur des Unternehmens klar sein, jede Abteilung muss genau wissen, welche Ziele sie verfolgt. Die Unternehmenskultur sollte offen sein, damit die Flexibilität im Management auch genutzt werden kann.
Vor- und Nachteile des situativen Führungsstils
Ob der situative Führungsstil in Ihr Unternehmen passt, können Sie vielleicht besser einschätzen, wenn Sie sich einmal mit den Schwächen und Stärken des Ansatzes auseinandergesetzt haben.
Schwächen des Ansatzes
- Höhere Mitarbeiterzufriedenheit: Durch das individuelle Eingehen auf die einzelnen Mitarbeitenden fühlen sich diese wertgeschätzt und gesehen, was wiederum die Zufriedenheit in der Belegschaft fördert. Denn das, was den meisten Menschen am meisten am Herzen liegt, ist immer: Sich verstanden zu fühlen. Darin liegt die Stärke dieses Ansatzes.
- Höhere Motivation – höhere Leistung: Durch die gezielte individuelle Förderung steigt die Motivation der Beschäftigten. Eine hohe Motivation führt in der Regel zu einer gesteigerten Leistung.
- Fehlerreduktion: Dadurch, dass die Kontrolle insbesondere bei neuen Mitarbeitenden sehr engmaschig ist, werden etwaige Fehler auf ein Minimum reduziert.
- Personalentwicklung: Die Beschäftigten wachsen an ihren Aufgaben und im Unternehmen. Außerdem können durch diesen Ansatz die einzelnen Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeitenden besser genutzt werden.
- Flexibilität: Der größte Vorteil: Je nach Situation und Mitarbeitenden hat diese Führungskraft die richtigen Instrumente zur Hand.
Herausforderungen des situativen Führungsstils
Hoher Zeitaufwand: Die individuelle Anpassung des Führungsstils an die einzelnen Mitarbeitenden erfordert einen hohen Zeitaufwand.
Komplexität und Kompetenz: Nicht alle Führungskräfte verfügen über die notwendigen Kompetenzen, um diesen Führungsstil anzuwenden. Er ist äußerst voraussetzungsvoll, da er Kompetenzen und Fähigkeiten aus verschiedenen Führungsstilen vereint. Speziell deutschen Führungskräften fehlt es häufig an Empathie. Dies ist auf die starke Fokussierung auf Fachwissen zurückzuführen.
Dabei zeigen Studien, wie zuletzt eine Studie von Avantgarde Experts, immer wieder, dass für deutsche Arbeitnehmende Empathie bei Führungskräften an erster Stelle steht.
Konsistenz: Wenn die Führungskräfte zu schnell zwischen den einzelnen Stufen wechseln, können Beschäftigte verwirrt werden und nicht mehr genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Hier hilft vor allem wie immer: gute Kommunikation und Transparenz.
Mangelnde Objektivität und fehlerhafte Einschätzung: Eine falsche Einschätzung durch die Führungskraft kann fatale Folgen haben und genau das Gegenteil bewirken. Die Beurteilung des Reifegrades der Mitarbeitenden ist also keine objektive Tatsache, sondern hängt von subjektiven Einschätzungen ab, die auch falsch sein können.
Weitere Führungsstile – Welcher ist der richtige?
Es gibt eine Vielzahl von Führungsstilen, welche alle ihre Stärken und Schwächen haben. Wichtig für die Wahl des passenden Stils sind vor allem das Unternehmen und die Unternehmensstruktur an sich, aber auch die Führungspersönlichkeit und deren Kompetenzen und Fähigkeiten.
Ein erster Selbsttest kann Führungskräften Aufschluss geben bzw. eine erste Verortung ermöglichen, welcher Führungstyp Sie sind. Denn bei der richtigen Führung geht es vor allem um Authentizität: Es nützt nichts, wenn man eher kein strenger Typ ist und dann versucht, die Mitarbeitenden mit einem autokratischen Stil zu führen. Die Folge ist, dass Sie niemand ernst nehmen wird. Deshalb ist es für Führungskräfte wichtig, sich selbst gut zu kennen und einschätzen zu können.
Weitere Informationen zu den verschiedenen Führungsstilen finden Sie in unserem Blogeintrag zu diesem Thema.