Die meisten Beschäftigten werden in ihrem Arbeitsleben bereits die Erfahrung gemacht oder das Gefühl gehabt haben, dass Kolleg*innen trotz schlechterer Leistungen bevorzugt oder befördert wurden. Die Entscheidung beruht also auf einem Beurteilungsfehler. Dies kann schwerwiegende Folgen für die Motivation der Mitarbeitenden und den Erfolg des Unternehmens haben.
Für Personalverantwortliche kann es daher hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass Beurteilungsfehler auftreten können und zu lernen, worauf diese zurückzuführen sind. Im folgenden Beitrag erläutern wir deshalb die wichtigsten Fehler und wie sie vermieden werden können.
Key Facts
- Menschliche Beurteilungen sind nie völlig objektiv und unterliegen subjektiven Verzerrungen.
- Beurteilungsfehler führen insbesondere im Arbeitskontext zu Ungerechtigkeiten, Motivationsverlust und personellen Fehlentscheidungen.
- Durch Notizen, klare Kriterien, Bewusstseinsbildung und standardisierte Verfahren können solche Fehleinschätzungen minimiert werden.
- Was sind Beurteilungsfehler?
- Welche Beurteilungsfehler gibt es?
- Beurteilungsfehler – Beispiele
- Wie kann man Beurteilungsfehler vermeiden
Was sind Beurteilungsfehler?
Beurteilungsfehler – Bedeutung
Wie wir andere Menschen beurteilen, kann nie hundertprozentig objektiv sein. Durch die subjektive Verfälschung objektiver Tatsachen entstehen Beurteilungsfehler. Führungskräfte und Personaler*innen sollten sich dieser subjektiven Verzerrungen bei der Beurteilung und Leistungswahrnehmung ihrer Mitarbeitenden bewusst sein.
Auch wenn durch die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit möglichen Beurteilungsfehlern die Leistungsbeurteilung nicht hundertprozentig objektiv wird, können diese zumindest minimiert werden.
Was ist das Problem bei Beurteilungsfehlern im Arbeitskontext?
Beurteilungsfehler kommen nicht nur im beruflichen Zusammenhang vor, sondern beispielsweise auch im schulischen Kontext, wo sie erhebliche Auswirkungen auf die akademische Laufbahn von Kindern haben können. Aber auch in der Arbeitswelt sind Beurteilungsfehler problematisch. Warum?
Mangelnde Fairness/Ungerechtigkeiten
Wenn Mitarbeitende nicht auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Leistungen und Kompetenzen beurteilt werden, kann dies zu Ungleichbehandlung führen. Bestimmte Beschäftigte werden so ungerechtfertigterweise durch Beurteilungsfehler bevorzugt oder benachteiligt.
Rückgang der Motivation und Produktivität
Beurteilungsfehler führen insbesondere bei den Beschäftigten, die schlechter eingeschätzt und beurteilt werden, zu Unmut und sinkender Arbeitsmoral und Produktivität.
Das wiederum wirkt sich auf das gesamte Betriebsklima negativ aus.
Fehlentscheidungen bei Personalmaßnahmen
Personalentscheidungen, die auf einer Fehleinschätzung der Leistungen und Fähigkeiten der betroffenen Mitarbeitenden beruhen, können erhebliche negative Auswirkungen auf den Betriebsablauf haben, wenn eine Stelle mit der falschen Person besetzt wird. Problematisch ist auch, dass Personalentscheidungen nicht so schnell rückgängig gemacht werden können.
Ungenutzte Potenziale
Falsche Personalentscheidungen, die auf Beurteilungsfehlern beruhen, führen zudem dazu, dass Potenziale, die dem Unternehmen guttun und es voranbringen würden, ungenutzt bleiben. Innovationskraft und Produktivität werden so durch Fehlentscheidungen und verzerrte Wahrnehmung gebremst.
Zudem können Fehlentscheidungen im Bewerbungsprozess dazu führen, dass eigentliche Top-Talente gar nicht erst eingestellt werden, weil die Beurteilenden die Bewerbenden falsch eingeschätzt haben.
Warum machen wir Fehler bei Beurteilungen von Menschen?
Alle Menschen machen Fehler, wenn sie andere Menschen beurteilen. Es gibt nicht den einen Grund, warum uns diese Fehleinschätzungen unterlaufen. Vielmehr sind sie das Ergebnis einer Vielzahl von psychologischen, kognitiven und sozialen Faktoren. Sie entstehen oft unbewusst und sind das Ergebnis von Wahrnehmungsprozessen, Denkgewohnheiten und sozialem Verhalten.
Im Folgenden gehen wir daher genauer auf die häufigsten Beurteilungsfehler und ihre Ursachen ein.
Welche Beurteilungsfehler gibt es?
Insgesamt lassen sich Beurteilungsfehler grob in vier Kategorien einordnen: Maßstabsprobleme, Wahrnehmungsverzerrungen, bewusste Verfälschungen und emotionale Einflüsse.
1. Maßstabsprobleme
Fehler dieser Kategorie lassen sich darauf zurückführen, dass unterschiedliche Beurteilende verschiedene Maßstäbe bei der Bewertung ansetzen. Dies führt dazu, dass die Beurteilungen nicht miteinander verglichen werden können.
Auch kulturelle Unterschiede können Einfluss auf die Maßstäbe bei Beurteilungen haben. So können bestimmte Eigenschaften in einem Kulturkreis als äußerst wünschenswert und positiv wahrgenommen werden, wohingegen sie anderswo als negativ gelten.
Unklare Kriterien fallen zum Beispiel ebenfalls in diese Kategorie von Beurteilungsfehlern.
Typische Beurteilungsfehler aufgrund von Maßstabsproblemen sind darüber hinaus:
- Milde-Effekt
- Strenge-Effekt
- Fehler der Zentraltendenz
2. Wahrnehmungsverzerrungen
Bei dieser Art von Fehlern werden bestimmte Eigenschaften subjektiv über- oder unterbewertet.
Beurteilungsfehler, die in diese Kategorie fallen, sind u. a.:
- Halo-Effekt
- Horn-Effekt
- Primacy-Effekt (First-Impression-Effekt)
- Recency-Effekt (Nikolaus-Effekt)
- Kleber-Effekt
- Andorra-Effekt
- Lorbeer-Effekt
- Hierarchie-Effekt
3. Bewusste Verfälschungen
Fehler, die in dieser Kategorie unterlaufen, sind das Ergebnis einer bewussten Verfälschung, um bestimmte Ziele zu erreichen.
4. Emotionale Einflüsse
Diese Fehler sind auf persönliche Gefühle und emotionale Reaktionen zurückzuführen. Weil mir zum Beispiel Mitarbeiterin Y sympathisch ist, schätze ich ihre Leistung besser ein, als sie tatsächlich ist. Außerdem übersehe ich ihre negativen Eigenschaften eher, als wenn mir eine Mitarbeiterin nicht so sympathisch ist.
Beurteilungsfehler – Beispiele
Schauen wir uns nun bestimmte Beurteilungsfehler aus dem Bereich der Wahrnehmungsverzerrung und der Maßstabsprobleme an.
Wahrnehmungsverzerrung
1. Halo-Effekt
Der Halo-Effekt ist wohl die bekannteste subjektive Verzerrung bei der Beurteilung anderer Personen. Bei diesem Effekt entsteht der Fehler dadurch, dass von einer positiven Eigenschaft einer Person ausgehend ein komplettes Urteil gebildet wird. D. h. ein einzelner positiver Eindruck führt dazu, dass die Person insgesamt bzw. ihre weiteren Eigenschaften positiv bewertet werden.
Beispiel:
Teamleiterin X bewertet den Mitarbeiter Y, der immer pünktlich und hilfsbereit ist, als sehr engagiert. Obwohl seine tatsächliche Leistung in den Projekten mittelmäßig ist, erhält er eine hohe Gesamtbewertung, da seine positiven Eigenschaften seine Schwächen überdecken.
2. Horn-Effekt
Dieser Effekt ähnelt dem Beurteilungsfehler Halo-Effekt, nur dass hier von einer negativen Eigenschaft auf die ganze Person oder andere Eigenschaften geschlossen wird. Ein Fehler am Arbeitsplatz kann also zu weiteren negativen Beurteilungen führen, ohne dass diese gerechtfertigt sind.
3. Primacy-Effekt
„Der erste Eindruck zählt“ – Wer kennt dieses Sprichwort nicht. Und tatsächlich kann die erste Impression Auswirkungen auf die weitere Beurteilung der eigenen Person haben. Vorgesetzte, Personalverantwortliche und Führungskräfte stützen sich bei der Beurteilung von Mitarbeitenden auf den ersten Eindruck, auch wenn dieser nicht den tatsächlichen Leistungen der Person entspricht.
4. Recency-Effekt
Bei dieser Beurteilungsweise werden Leistungen oder Fehler, die kurz vor der Begutachtung aufgetreten sind, überproportional berücksichtigt (Recency, aus dem Englischen abgeleitet von recent für kürzlich).
5. Kleber-Effekt
Die Beurteilung einer Person stützt sich auf einen einmaligen Eindruck. Dieser Eindruck „klebt“ an der Person, obwohl zwischenzeitlich eine Weiterentwicklung stattgefunden hat und der Eindruck gar nicht mehr stimmt.
Beispiel:
Mitarbeiterin A arbeitet seit 10 Jahren an der gleichen Stelle. Sie ist zuverlässig, kennt ihre Aufgaben in- und auswendig und ist leistungsstark in ihrem Bereich. Doch trotz ihrer guten Leistungen und ihrer langjährigen wird sie nicht befördert. Begründet wird dies oft damit, dass sich die Mitarbeiterin „in ihrer Rolle bewährt hat“.
6. Andorra-Effekt
Bei diesem Fehler spielt das Gefühl der Zugehörigkeit eine große Rolle. So werden Beschäftigte aus der eigenen Abteilung oder dem eigenen Team tendenziell besser bewertet als Mitarbeitende, mit denen man nicht so viel zu tun hat.
7. Lorbeer-Effekt
Hier ruhen sich die Mitarbeitenden im wahrsten Sinne des Wortes auf ihren Lorbeeren aus. Wie im Sprichwort werden auch bei diesem Beurteilungsfehler Mitarbeitende aufgrund ihrer herausragenden Leistungen in der Vergangenheit beurteilt. Auch wenn die aktuellen Leistungen möglicherweise gar nicht mehr den vergangenen Erfolgen entsprechen, werden diese immer noch als Grundlage für die Beurteilung herangezogen.
8. Hierarchie-Effekt
In diesem Fall wird die Wahrnehmung von der Position, die eine Person im Unternehmen innehat, beeinflusst. So werden höhergestellte Beschäftigte häufiger wohlwollender und positiver eingeschätzt als niedriger gestellte Angestellte.
Maßstabsprobleme
Neben diesen wahrnehmungsbedingten Fehlern gibt es einige Unterkategorien im Bereich der Maßstabsprobleme. Nachfolgend ein Überblick über die häufigsten Fehler in dieser Kategorie.
Milde-Effekt
Die Beurteilungen tendieren dazu, für alle Mitarbeitenden nachsichtig zu sein, was dazu führt, dass die Beurteilungen insgesamt zu positiv ausfallen.
Strenge-Effekt
Hier ist genau das Gegenteil der Fall. Die Beurteilenden sind insgesamt zu streng in ihren Einschätzungen. Die Bewertungen fallen also insgesamt negativer aus, als sie eigentlich sein müssten.
Fehler der Zentraltendenz
Die Beurteilenden tendieren dazu, jegliche Leistungen im Durchschnitt bzw. Mittelfeld anzusiedeln. Das führt dazu, dass die Leistungsunterschiede zwischen einzelnen Beschäftigten nicht wahrgenommen und dementsprechend falsch eingeschätzt werden.
Wie kann man Beurteilungsfehler vermeiden?
Wir sind alle Menschen. Vollkommene Objektivität wird es nie geben. Dennoch kann es hilfreich sein, sich ein paar Tipps und Tricks anzuschauen. Denn jeder*m Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen sollte daran gelegen sein, dass die Mitarbeitenden fair und gerecht beurteilt werden.
Beurteilungsfehler vermeiden – Tipps und Tricks
Notizen machen
Die meisten Wahrnehmungsfehler entstehen dadurch, dass bestimmte Leistungen über- oder unterbewertet werden. Dies lässt sich leicht vermeiden, indem man sich von Zeit zu Zeit Notizen über die Leistungen und die Arbeitsweise der einzelnen Mitarbeitenden macht. So können Sie z. B. Personalentscheidungen objektiver treffen, indem Sie einfach auf Ihre Notizen zurückgreifen.
Kriterien entwickeln
Darüber hinaus kann es hilfreich sein, objektive Bewertungsmaßstäbe und Kriterien zu entwickeln und schriftlich festzuhalten. So kann auch bei unterschiedlichen Beurteilenden ein gewisses Maß an Objektivität gewährleistet werden.
Bewusstwerdung
Insgesamt kann bereits ein Bewusstsein für die eigene Fehlbarkeit bei der Beurteilung anderer dazu beitragen, subjektive Verzerrungen zu reduzieren. Insbesondere die Bewusstwerdung der emotionalen Einflüsse, wie also Sympathien oder Antipathien gegenüber bestimmten Beschäftigten, kann bereits dabei helfen, diesen Einfluss in der Beurteilung zu minimieren.
Mehrere Beurteilende
Je mehr Personen eine Beurteilung vornehmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis objektiver ausfällt. Es kann daher sinnvoll sein, sich mit anderen Führungskräften zu beraten oder die Beurteilung insgesamt, z. B. bei einem Vorstellungsgespräch, mit mehreren Personen durchzuführen.
Standardisierte Bewertungsbögen
Standardisierte Bewertungsbögen können helfen, objektivere Einschätzungen vorzunehmen.
Feedback
Regelmäßiges Mitarbeiterfeedback hilft, Beurteilungsfehler zu erkennen und zu korrigieren. Besonders nützlich ist in diesem Zusammenhang das 360-Grad-Feedback, bei dem Beschäftigte von mehreren Kolleg*innen beurteilt werden.
Anonymisierung
Vor allem bei Bewerbungen kommt es immer wieder zu Fehleinschätzungen bis hin zu Diskriminierungen.
Studien zeigen immer wieder, wie Recruiter*innen Bewerbende aufgrund von Merkmalen wie Herkunft, Alter, Ethnie oder Geschlecht diskriminieren. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund und Hauptschulabschluss bereits bei der Bewerbung benachteiligt werden. Ihre Eignung wird negativer eingeschätzt, als sie tatsächlich ist.
Anonymisierte Bewerbungsverfahren können hier zu mehr Objektivität beitragen.
Worauf Sie beim Recruiting noch achten sollten, lesen Sie in verschiedenen Beiträgen in unserem Blog, z. B. ganz aktuell über den Einsatz von KI im Recruiting.
Insbesondere im Bereich Bewerbermanagement ist eine objektive Entscheidungsfindung wichtig und fair. Factorial AI hilft Ihnen nicht nur beim Verfassen von Stellenanzeigen – das KI-gestützte CV-Screening ermöglicht ein neutrales und auf Leistung begründetes Auswahlverfahren. Probieren Sie es aus!