Ob Social Media oder Mobile Recruiting: Wie Unternehmen Talente anziehen, ist heute wichtiger denn je. Das war zwar auch früher schon von Bedeutung, aber in Krisenzeiten und Zeiten des War for Talent ist es ein entscheidender Faktor, wie ein Unternehmen sich mit seinen Prozessen an die Veränderungen anpasst, um sich am Arbeitsmarkt hervorzuheben. Darüber hinaus hat die gegenwärtige Situation teilweise die Grundlagen in diesem Bereich verändert. Der Schlüssel für ein erfolgreiches Recruiting scheint dabei ganz klar zu sein: HR-Digitalisierung.
Manoj Harasgama ist Gründer von JOIN.com, einem Recruiting Tool, das die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Talente gewinnt, optimieren und vereinfachen soll. Damit möchten sie die Digitalisierung im Recruiting, als wesentlicher Bereich der Human Resources, vorantreiben und für Unternehmen zugänglicher machen.
Wir haben ihn interviewt, um zu erfahren wie die aktuelle Situation das heutige und zukünftige Recruiting beeinflusst und wie sie selbst die Umstellungen im Unternehmen gemeistert haben.
Bitte stelle dich und euer Unternehmen kurz vor. Wie würdest du die Mission von JOIN zusammenfassen?
JOIN.com ist ein Recruiting Tool, mit welchem Unternehmen schneller, mehr und bessere Kandidaten für jede offene Position finden. Mit JOIN können Sie Ihre Stellenanzeigen automatisch und kostenlos (sogenanntes „Freemium“-Geschäftsmodell) auf allen relevanten Stellenbörsen streuen. Wir helfen unseren tausenden von Nutzern europaweit ohne mühsamen „Inserierungsaufwand“ offene Stellen effizienter zu besetzen.
Mit unserem simplen eingebauten Bewerbermanagement System lassen sich die eingegangenen Bewerbungen direkt kategorisieren und verwalten.
Unsere Mission ist es allen Unternehmen, insbesondere Start-ups und KMU, die besten Recruiting Werkzeuge zugänglich zu machen, weshalb wir den kostenlosen Ansatz verfolgen. Mit diesem Ziel haben mein Mitgründer Tim Ruffner und ich 2018 das Unternehmen gegründet.
Wie hat euer Unternehmen den Wechsel auf die aktuelle Situation gemeistert? Gab es für euch grundlegende Veränderungen darin, wie ihr eure Arbeit ausführt?
Als Tech-Company haben wir das große Glück, dass sich der Wechsel ins Home-Office sehr einfach umsetzen ließ und das komplette Team schnell von Zuhause aus produktiv arbeiten konnte.
Im Geschäftlichen haben wir die Konsequenzen der Pandemie auch beobachten können. Einige unserer Kunden leiden unter einem Einstellungsstopp, mussten Ihre Teammitglieder in Kurzarbeit schicken, wenn nicht sogar komplett gehen lassen.
Dies, in Kombination mit Budgetrestriktionen, hat natürlich dazu geführt, dass sehr viele unserer bisherigen Kunden vermehrt die kostenfreien Vorteile unserer Lösung in Anspruch genommen haben. Gleichzeitig konnten wir aber auch viele neue Kunden, gerade aufgrund unseres Freemium Ansatzes, in dieser Zeit gewinnen.
Die kurzfristig zurückgefallenen Einnahmen haben sich allerdings auch gut durch Kundenkategorien ausgeglichen, die von der Corona-Krise indirekt profitieren wie z.B. E-Learning Unternehmen, MedTech, Online-Handel usw.
Welches sind die wesentlichen Bereiche im HR, die von der aktuellen Pandemie am stärksten betroffen sind?
Am stärksten betroffen ist kurzfristig definitiv der Recruiting-Bereich, so wie wir es bei unseren Kunden beobachten können. Wenn das Budget zu knapp ist, um die Gehälter der Mitarbeiter vollständig zu bezahlen, ist es nicht der richtige Zeitpunkt, um weitere Arbeitskräfte einzustellen. Allerdings ist das auch nur kurzfristig der Fall, denn gerade durch die aktuelle Situation bieten sich im Talent Acquisition Bereich einige Chancen. Mit sehr vielen Entlassungen, Einstellungsstopps und gelangweilten Mitarbeitern in Kurzarbeit, gibt es einige Talente, die neu aktiv auf der Suche nach anderen spannenden Herausforderungen sind.
„Selbst wenn kurzfristig keine Stellen zu besetzen sind, ist es empfehlenswert bereits jetzt mit den vielen potenziellen Kandidaten in Kontakt zu kommen und z.B. einen Talent Pool aufzubauen.“
Auch die Personalabteilungen werden derzeit mehr denn je auf den Prüfstand gestellt. Jetzt müssen sie zeigen, wie sehr sie Ihre Mitarbeiter schätzen und müssen sehr sensibel mit vielen komplizierten Situationen umgehen.
Hat die aktuelle Situation die Art und Weise verändert, wie Recruiting ausgeführt wird?
Durch die oben genannten Effekte entwickelt sich der Arbeitsmarkt kurzzeitig mehr zum Arbeitgebermarkt, nachdem nun einige Jahre eher vom Fachkräftemangel gesprochen wurde.
Das wirkt sich natürlich erstmal positiv auf Recruiting aus, wird aber sicher nicht allzu lange andauern. Features wie ausführliche Screening Questions, wie es Join anbietet, werden mehr denn je genutzt.
Ansonsten ist durch das Kontaktverbot der Einstellungsprozess stark verändert.
„Alles muss digital ablaufen, von Interviews bis Tests, die nun online durchgeführt werden. “
Durch die aktuelle Situation zeigt sich interessanterweise auch der Trend, dass Arbeitgeber offener für Remote-Onboarding und Remote Work geworden sind und begonnen haben, mehr Stellen als „Remote“ auszuschreiben oder Home-Office als Benefit anzugeben.
Was ist für ein effizientes Personalmanagement in der Zukunft von entscheidender Bedeutung?
Wie in vielen anderen Bereichen sind datengetriebene Entscheidungen ein großer Antriebsfaktor für effizientes Management. Besonders im Recruiting gibt es hier viele, häufig noch ungenutzte, Möglichkeiten. Vergleichbar zum Marketing müssen Personaler z.B. datenbasiert die besten Kanäle für die „Werbung“ ihres Unternehmens identifizieren und entscheiden wie Sie ihr Budget zuweisen, so ist es wichtig Tool zu nutzen, die zur Entscheidungsfindung beitragen.
„Zeitaufwändige Aufgaben wie das manuelle Einpflegen der gleichen Stellenanzeige auf ein dutzend Stellenbörsen, oder intuitive Entscheidungen nach dem geeigneten Kanal, oder das analoge Verwalten von administrativen Prozessen, müssen der Vergangenheit angehören.“
Online Tools wie JOIN.com und Factorial schaffen hier sehr viel Freiraum und befreien Personaler von repetitiven und weniger spannenden „Zeitfressern“.
Mit der gewonnenen Zeit können sich Personaler auf die wichtigeren Dinge im HR konzentrieren, bspw. den Personal Fit eines Kandidaten, die Verbesserung der Candidate Experience konzentrieren oder den gesamten Prozess rund um den Bewerber bzw. den Mitarbeiter optimieren.
Inwieweit wird sich der Personalsektor in Deutschland in den kommenden Jahren verändern und welche Entwicklungen sind schon längst überfällig?
Insgesamt ist Deutschland nicht gerade Vorreiter der Digitalisierung. Bewerbungen per Post mit Antwortfristen von deutlich über einer Woche passen nicht mehr in den Geist der Zeit. Als sehr durch den Mittelstand geprägte Wirtschaft sind dies aber derzeit noch Realitäten mit denen Jobsuchende häufig konfrontiert werden.
Eine Entwicklung, die wir bereits in den vergangenen Jahren beobachten konnten, ist, dass Arbeitnehmer immer häufiger den Job wechseln. Dieser Trend wird sich in meinen Augen weiter verstärken. Die neue Generation möchte sich nicht langfristig an den gleichen Job im selben Unternehmen binden.
„Bemühungen um Arbeitnehmer zu gewinnen und zu halten werden also umso wichtiger werden.“
Wie setzt ihr die HR-Digitalisierung in eurem Unternehmen um?
Als HR-Tech Unternehmen ist es vorausgesetzt, dass wir danach streben, die Prozesse im Recruiting und Personalmanagement optimal aufzusetzen. Zudem sind wir aber noch ein kleines Team, was es umso wichtiger macht, effizienzsteigernde Tools zu nutzen und Automatisierungspotential vollkommen auszuschöpfen.
Wir nutzen eine Reihe Werkzeuge im Recruiting, darunter natürlich auch unsere eigene Software, und versuchen uns stets zu verbessern. Dabei hilft das gesamte Team mit, denn unsere Prozesse werden kollaborativ von allen Kollegen mitgestaltet.
Was war für euch das größte Learning in dieser Situation?
In solch einer außergewöhnlichen Situation weiß man natürlich nie, was man tun soll, da einem die Erfahrungswerte hier nicht weiterhelfen. Am liebsten würde man nur abwarten bis man verstanden hat, was zu tun ist. Allerdings haben wir gelernt, dass genau das zu vermeiden ist. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass wir uns der neuen Lage anpassen müssen und ein paar Maßnahmen treffen müssen, um der neuen Situation gerecht zu werden.
Für das Team ist vermutlich das Wichtigste in ungewissen Zeiten etwas Gewissheit und Struktur zu bekommen und in eine gemeinsame Richtung zu gehen, auch wenn diese nicht unbedingt die beste sein muss.
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