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Wilder Streik: Definition, Folgen und Rechtslage

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6 Minuten Lesezeit
Wilder Streik

Wenn Arbeitnehmer*innen in einen „wilden Streik“ treten und unangekündigt und ohne gewerkschaftliche Unterstützung die Arbeit niederlegen, kann dies für Arbeitgeber*innen eine Herausforderung darstellen.

In diesem Blogartikel erklären wir daher, wie die Rechtslage in Deutschland in Bezug auf wilde Streiks aussieht und geben Ihnen praktische Hinweise an die Hand, wie Sie angemessen reagieren können.

Key Facts

  1. Ein „wilder Streik“ ist ein Arbeitsstreik, der ohne offizielle Genehmigung oder Zustimmung der Gewerkschaften stattfindet, oft spontan und kollektiv.
  2. Streiks sind in Deutschland rechtmäßig, wenn sie von einer Gewerkschaft organisiert werden, ein tariflich regelbares Ziel verfolgen, tariflich zulässig sind, nach Ablauf der Friedenspflicht beginnen und das letzte Mittel darstellen.
  3. Wilde Streiks sind daher in Deutschland rechtswidrig und können arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Kündigung nach sich ziehen.

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Was ist ein wilder Streik?

Wilder Streik Definition

Ein „wilder Streik“ ist ein Arbeitsstreik, der von Arbeitnehmer*innen ohne offizielle Genehmigung oder Zustimmung von Gewerkschaften durchgeführt wird. Bei dieser Form des Arbeitskampfes erfolgt die Arbeitsniederlegung kollektiv und geschieht meist spontan. Er wird daher auch oft „spontaner Streik“ genannt.

Wilder Streik – Beispiele aus Deutschland

Streik bei Pierburg 1973 in Neuss

1973 kam es bei den Pierburg-Werken in Neuss zu einem wilden Streik. Die Belegschaft des Werkes bestand zu über 70 % aus migrantischen Frauen, die oft schlechter bezahlt und behandelt wurden als ihre deutschen Kolleginnen.

Am 13. August 1973 kam es zu einem zweiten Streik, der diesmal von der gesamten Belegschaft unterstützt wurde. Der Streik dauerte zwei Wochen und führte zu einer Reihe von Zugeständnissen der Betriebsleitung. Die Arbeiterinnen erhielten eine Lohnerhöhung von einer Mark, eine bessere Bezahlung der Überstunden und die Anerkennung ihrer Gewerkschaft.

Gorillas-Streik

Landesweites Aufsehen sorgte vor allem der wilde Streik der Fahrer*innen des Berliner Lieferdienstes Gorillas, die sich im Sommer 2021 an einem viertägigen wilden Streik wegen unpünktlicher und unzureichender Bezahlung sowie mangelhafter Ausrüstung der Lieferfahrer*innen beteiligt hatten.

Das Landesarbeitsgericht Berlin wies die Kündigungsschutzklagen der fristlos entlassenen Kuriere ab. Zur Begründung hieß es, der Streik sei nicht gewerkschaftlich organisiert und daher rechtswidrig gewesen.

Unterschied zu regulären Streiks

Im Gegensatz zu einem regulären oder legalen Streik, der häufig von einer Gewerkschaft organisiert und angekündigt wird, wird ein wilder Streik auf eigene Initiative und ohne formale Verfahren durchgeführt.

Weitere Streikformen – Definition

Neben diesen sogenannten wilden Streik gibt es noch unzählige weitere Streikarten. Beispielhaft sollen hier einige erwähnt werden:

  1. Der Generalstreik: (Fast) alle Arbeitnehmer*innen eines Landes treten in den Streik. Diese Form des Streiks wird in der Regel nur dann angewandt, wenn grundlegende Arbeitsbedingungen gefährdet sind. Je nach Intensität des Generalstreiks sind lebenswichtige Bereiche vom Streik ausgenommen. In besonderen Konfliktsituationen kann von diesen Ausnahmen abgewichen werden.
  2. Vollstreik: Im Gegensatz zum Generalstreik wird beim Vollstreik in der Regel nicht die gesamte Wirtschaft, sondern eine bestimmte Branche oder auch Verwaltungseinheit bestreikt.
  3. Warnstreik: Ein befristeter Streik, der Konsequenzen ankündigt oder dem*der Verhandlungspartner*innen den Ernst der Lage vor Auge führen soll.

Eine Gruppe von Menschen ist auf einem Streik.

Streikrecht

Das Streikrecht ist im Grundgesetz festgelegt. Es ist Teil der Koalitionsfreiheit, die als Grundrecht nach Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) geschützt ist. Die Koalitionsfreiheit erlaubt die Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sowie die Durchführung von Arbeitskämpfen. Konkret muss ein Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrages über einen bestimmten Regelungsgegenstand gerichtet sein.

Wann sind Streiks also legal?

Nach dem Arbeitsrecht sind Streiks nur dann rechtlich zulässig, wenn sie der Durchsetzung eines tariflich regelbaren Ziels dienen.

Konkret bedeutet dies, dass Streiks rechtmäßig sind, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a.) Gewerkschaften:

Der Streik wird von einer Gewerkschaft getragen, d. h. es gibt eine Gewerkschaft, die den Streik organisiert und deren Forderungen von den Streikenden unterstützt werden. Ein Streik ohne gewerkschaftliche Unterstützung ist als „wilder Streik“ verboten.

b.) Tariflich regelbares Ziel:

Die Gewerkschaften und die Streikenden verfolgen ein tariflich regelbares Ziel. Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn Druck auf den Gesetzgeber oder die Regierung ausgeübt werden soll. Solche Streiks werden als „politische“ Streiks bezeichnet. Sie sind in Deutschland verboten und kommen praktisch nicht vor. Im Streikland Frankreich sind sie dagegen an der Tagesordnung.

Das Verbot des politischen Streiks in Deutschland geht auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1952 zurück, in dem es um einen Streik von Zeitungsredakteuren ging, die gegen die Politik der Bundesregierung protestierten. Das BAG entschied, dass dieser Streik unzulässig sei, da er nicht den Interessen der Arbeitnehmer*innen, sondern politischen Zielen diene.

Im Urteil heißt es: „Rechtswidrig ist ein Arbeitskampf, der zur Durchsetzung eines tariflich nicht regelbaren Zieles geführt wird.“

Beispiel: Politischer Streik in Frankreich

Der politische Generalstreik in Frankreich im Jahr 2023 war ein Beispiel für einen landesweiten Arbeitsausstand aus Protest gegen eine geplante Reform. Mit der Reform sollte das einheitliche Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden. Dies stieß bei vielen Beschäftigten auf Ablehnung.

Der Streik wurde von den größten französischen Gewerkschaften CGT, CFDT und FO ausgerufen. Er führte zu erheblichen Verkehrsbehinderungen, Schulausfällen und Produktionsausfällen. Der Streik dauerte mehrere Wochen und zwang die Regierung schließlich, die Reform zu überarbeiten.

c.) Tarifrechtlich zulässiges Ziel: Das von der Gewerkschaft und den Streikenden verfolgte Ziel muss auch tarifrechtlich zulässig sein. Dies ist nicht der Fall, wenn der mit dem Streik angestrebte Tarifvertrag rechtlich keinen Bestand hätte, also rechtswidrig wäre.

d.) Friedenspflicht: Der Streik darf erst nach Ablauf der Friedenspflicht beginnen. Unter Friedenspflicht versteht man die jedem Tarifvertrag innewohnende Verpflichtung der Gewerkschaft, während seiner Laufzeit „stillzuhalten“. Ist also z. B. die Laufzeit eines Lohntarifvertrages noch nicht abgelaufen, darf nicht für weitere Lohnerhöhungen gestreikt werden.

e.) Letztes Mittel: Der Streik muss das letzte Mittel („ultima ratio“) sein. Eine vorherige Verhandlung sollte es also gegeben haben.

f.) Verhältnismäßigkeit: Schließlich muss der Streik „verhältnismäßig“ sein.

Eine Frau auf einem Streik spricht in ein Mikrofon.

Rechtliche Fragen zum wilden Streik – Folgen, Verbot, Kündigung

Was folgt nun aus diesen allgemeinen Bedingungen des Streiks als Arbeitsinstrument für den wilden Streik? Welche rechtlichen Implikationen sind damit verbunden?

Ist ein wilder Streik rechtlich unzulässig?

Ja, ein wilder Streik ist in Deutschland rechtswidrig. Ein wilder Streik ist ein Arbeitskampf, der nicht von einer Gewerkschaft ausgerufen und organisiert wird.

Verbot des wilden Streiks

Das Verbot des wilden Streiks ergibt sich aus dem Grundgesetz (GG). In Artikel 9 Absatz 3 GG heißt es:

„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist unverletzlich. Die Vereinigungen haben das Recht, sich unter Beachtung der Gesetze frei zu äußern und zu betätigen.“

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Arbeitskampf nur dann ein legitimes Mittel ist, wenn er von einer Gewerkschaft ausgerufen und organisiert wird.

Wilder Streik Folgen – Welche Folgen hat es für Beschäftigte, wenn Sie an einem wilden Streik teilnehmen?

Die Folgen für Beschäftigte, die sich an einem wilden Streik beteiligen, können schwerwiegend sein.

Arbeitsrechtliche Folgen:

Die Teilnahme an einem wilden Streik stellt eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Der Arbeitgeber kann deshalb neben einer Abmahnung oder einer ordentlichen Kündigung auch eine fristlose Kündigung aussprechen. Dies entschied u. a. das Landesgericht Berlin-Brandenburg in einem Urteil aus dem Jahr 2023, in dem die Kündigungen der am wilden Streik beteiligten Mitarbeitenden des Lieferdienstes Gorillas für rechtswirksam erklärt wurden.

Darüber hinaus haben Arbeitgeber das Recht hat, ihren Arbeitnehmer*innen während des Streiks keinen Lohn zu zahlen.

Strafrechtliche Folgen – Schadenersatzansprüche:

Die Teilnahme an einem wilden Streik kann auch strafrechtliche Folgen haben. So kann der Streikende wegen Nötigung oder Sachbeschädigung zur Verantwortung gezogen werden.

Arbeitgeber können so von den Streikenden Schadensersatzansprüchen fordern. Bei der Teilnahme an einem wilden Streik können die Beteiligten im Zweifel für Produktionsausfälle oder Umsatzeinbußen des Unternehmens haftbar gemacht werden.

So reagieren Sie als HR richtig auf einen wilden Streik

Als Personalverantwortliche stehen Sie bei einem wilden Streik vor einer Reihe von Herausforderungen. Sie müssen die Interessen des Arbeitgebers wahren, die Rechte der Arbeitnehmer*innen respektieren und den Konflikt entschärfen.

Keine einfache Situation! Deshalb haben wir für Sie einige Tipps zusammengestellt, wie Sie sich in einer solchen Situation verhalten sollten.

  • Bewahren Sie Ruhe und handeln Sie überlegt. Ein wilder Streik ist eine Ausnahmesituation, in der die Emotionen auf beiden Seiten hochkochen können. Es ist wichtig, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen und sich auf die sachliche Lösung des Konflikts zu konzentrieren.
  • Informieren Sie sich über die Hintergründe des Streiks. Welche Forderungen haben die Streikenden? Was sind die Gründe für den Streik? Je besser Sie die Situation verstehen, desto besser können Sie reagieren.
  • Kommunizieren Sie mit den Streikenden. Versuchen Sie, mit den Streikenden in Kontakt zu treten und ihre Forderungen zu verstehen. Signalisieren Sie Ihre Gesprächsbereitschaft.
  • Schützen Sie die Interessen des Arbeitgebers. Informieren Sie den Arbeitgeber über den Streik und die möglichen Folgen. Erarbeiten Sie gemeinsam mit dem Arbeitgeber Maßnahmen, um die Auswirkungen des Streiks so gering wie möglich zu halten.
  • Vermeiden Sie eine Eskalation. Versuchen Sie, den Konflikt zu entschärfen und eine friedliche Lösung zu finden. Vermeiden Sie Drohungen oder Einschüchterungen, die den Streik weiter anheizen könnten.

Konkrete Maßnahmen

So weit, so gut. Wie können nun ganz konkrete Maßnahmen aussehen, die Sie als Personalverantwortliche ergreifen können:

  • Versuchen Sie, die Streikenden zur Rückkehr an den Arbeitsplatz zu bewegen. Dies kann durch Gespräche, Verhandlungen oder finanzielle Anreize geschehen.
  • Handelt es sich tatsächlich um einen wilden Streik, können Sie rechtliche Schritte einleiten.
  • Schützen Sie die Interessen Ihrer Kund*innen und Geschäftspartner. Informieren Sie diese über den Streik und die möglichen Folgen.
  • Sorgen Sie für die Sicherheit der Arbeitnehmer*innen, die sich nicht am Streik beteiligen.

Die Reaktion auf einen wilden Streik ist eine komplexe Aufgabe. Es gibt keine Patentlösung, die in jeder Situation funktioniert. Es ist wichtig, die Situation sorgfältig zu analysieren und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Maria Macher ist Content Managerin bei Factorial und lebt hier ihre Liebe für die deutsche Sprache und HR-Themen aus. Bereits während ihrer Studienzeit in Wien und Barcelona sammelte sie unterschiedlichste Arbeitserfahrungen: beim Early-Stage-Startup bis hin zum multinationalen Konzern. Dabei lernte sie insbesondere, was verschiedene Unternehmenskulturen ausmacht und welche Rolle die wichtigste Ressource in Unternehmen spielt: die Menschen.

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