Zum Inhalt gehen

Interview: Warum es das eine Arbeitszeitmodell für Unternehmen nicht mehr gibt

·
6 Minuten Lesezeit
Arbeitszeitmodelle im Wandel

Spätestens seit der Pandemie haben wir gelernt: Unternehmen müssen bestehende Arbeitszeitmodelle neu durchdenken. Flexiblere und „moderne“ Modelle müssen her.

Doch was bedeutet das genau und was müssen Führungskräfte und Personalverantwortliche im Hinblick auf diesen Wandel berücksichtigen?

Wir haben dazu mit Arbeitszeit- und Workforce Management- Experte Guido Zander gesprochen. Er ist geschäftsführender Partner bei der SSZ Beratung und arbeitet bereits seit über 25 Jahren in der strategischen und operativen Beratung von unterschiedlichsten Unternehmen. Seine Themen sind Arbeitszeit, Workforce Management sowie Workforce Analytics.

New call-to-action

Herr Zander, wie kam es dazu, dass Sie sich auf das Thema Arbeitszeit spezialisiert haben?

Streng genommen bin ich mit dem Thema bereits seit 1995 vertraut. Nach meinem Studium im Bereich Wirtschaftsinformatik habe ich zunächst für einen Softwarehersteller gearbeitet. Der Fokus lag hierbei auf der automatisierten Arbeitszeiterfassung.

Von dort aus bin ich in die Rolle des Beraters gerutscht und habe festgestellt: Während Unternehmen hinsichtlich der Zeitwirtschaft genau wissen, was sie brauchen, herrscht bei weiterführenden Themen wie u.a. der Personaleinsatzplanung absolute Orientierungslosigkeit.

Es war also die Nachfrage, die uns dazu geführt hat, uns 2004 selbstständig zu machen. Es gab zu dem Zeitpunkt noch niemanden, der sich dem Thema ohne Softwarelösung und mit alleinigem Fokus auf der Organisation angenommen hatte. Arbeitszeitmodelle, Lebensarbeitszeitmodelle, Analysen und Personalbedarfsplanung – all das machen wir heute erfolgreich für 350 Kunden.

Heute ist das Thema Arbeitszeit und Workforce Management mehr für mich als nur das Erfüllen einer Nachfrage. Es ist zu einer Passion geworden. Wir entwickeln Modelle für sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer und können somit was bewegen. Unsere Arbeit erfüllt einen klaren „Purpose“.

Welche Entwicklung haben Sie in den letzten 5 Jahren in Bezug auf Arbeitszeitmodelle beobachtet? Welche Arbeitszeitmodelle sind heutzutage besonders beliebt und warum?

Darauf möchte ich zweigeteilt antworten: Die Möglichkeiten, die heutzutage gegeben sind, sind dramatisch anders im Vergleich zu damals. Aber: Trotzdem kann man sagen, dass rund 80 % der Unternehmen nach wie vor an alten Schemas festhalten, obwohl die Notwendigkeit, etwas zu ändern, für alle noch stärker geworden ist.

Mehr Flexibilität durch neue Werte der Mitarbeiter*innen

Besonders die Nachfrage nach Flexibilität ist drastisch angestiegen. Das liegt u.a. daran, dass sich Mitarbeiter*innen und deren Werte verändert haben. Während sich lange Zeit das Leben an die Arbeit angepasst hat, müssen sich Arbeitszeitmodelle heutzutage nach dem Leben der Arbeitnehmer*innen richten.

Joggen während der Mittagspause, ein schneller Gang zum Supermarkt statt Kaffeepause – Work Life Integration nennt sich dieses Prinzip in der Fachsprache und stößt besonders bei jüngeren Beschäftigten auf Begeisterung.

Weiterhin hat sich auch das Rollenbild verändert. Während der Familienvater als zuverlässige Arbeitskraft galt, da die Mutter zu Hause alles im Griff hatte, wünscht sich der moderne Papa Flexibilität, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können.

Wir lernen: Neue Werte beeinflussen die Arbeitswelt und dessen Modelle. Das gilt auch für Berufsfelder, in denen es für Unternehmen nicht so einfach ist, eine solche Flexibilität zu gewährleisten. Das ist übrigens bei rund 60 % aller Berufe der Fall. Flexibilität in der Pflege oder in der Produktion? Ja, auch hier erwarten Arbeitnehmer*innen mitarbeiter- und familienfreundliche Lösungen, was in der Praxis jedoch oft vernachlässigt wird.

Demographischer Wandel

Darüber hinaus spielt auch der demographische Wandel eine Rolle. Arbeitnehmer*innen werden immer älter. Stress, Schichten und zu viel Arbeit kann auf Dauer zu vermehrten Krankheitsfällen führen. Mit welchen Modellen kann diese Belastung verringert werden?

Der Veränderungsdruck auf Unternehmen ist groß.

Im Allgemeinen sind Unternehmen also unter Druck, Arbeitszeitmodelle zu verändern. Und trotzdem: Gleitzeitmodelle und Schichtpläne aus den 90er bestehen nach wie vor. Lösungen sind oft noch nicht in Sicht.

Während es in der Vergangenheit ein Arbeitszeitmodell gab, an das sich alle angepasst haben, müssen heute verschiedene Arbeitszeitmodelle her, die Flexibilität für Mitarbeiter*innen in unterschiedlichen Lebensphasen gewährleisten: individuelle Modelle für ältere Angestellte, junge Eltern und Young Professionals.

Doch aufgepasst: Wichtig dabei ist auch, Mitarbeiter*innen nicht mit neuen Modellen zu überfordern. 

Was hat sich insbesondere seit der Pandemie verändert?

Seit der Pandemie liegt die Challenge nicht mehr nur darin, flexible Arbeitszeit, sondern auch einen flexiblen Arbeitsort anzubieten.

Unternehmen müssen sich anpassen und Prozesse neu durchdenken. Was erwarten sie von ihren Angestellten und was müssen sie ihnen dafür mit auf den Weg geben?

Man ist offener geworden für Neues.

Die gute Nachricht: Die Haltung der Unternehmen hat sich verändert. Während noch vor zwei Jahren viele Arbeitgeber die Arbeit im Home Office als absoluten Untergang angesehen haben, ziehen Führungskräfte heute das Fazit: “Das klappt ja doch ganz gut mit dem Home-Office”.

Trotz vieler Vorteile bin ich dennoch kein Fan vom gesetzlich verbrieftem Recht auf Home Office für alle. Der Grund: Es gibt auch Arbeitnehmer*innen, die damit nicht umgehen können und sich zu Hause zu sehr ablenken lassen. Eine Home-Office Lösung muss für jedes Unternehmen individuell entwickelt werden, da die jeweiligen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind.

Welche Arbeitszeitmodelle sehen Sie in der Zukunft und warum?

Mehrere individuelle Modelle statt die eine Universal-Lösung

Das eine Arbeitszeitmodell wird es so nicht geben. Mehrere in ein System miteinander vernetzte Arbeitszeitmodelle sind die Zukunft. Verschiedene Modelle deswegen, damit individuelle Bedürfnisse von Arbeitgeber und Mitarbeiter*innen berücksichtigt werden können.

Ein universelles Modell, das für das gesamte Unternehmen gut funktioniert und von allen angenommen wird, gibt es nicht. 

Hybrides Arbeiten als ein Modell der Zukunft

Hybrides Arbeiten ist das Modell der Zukunft.

Hybrides Arbeiten ist das Modell der Zukunft. Feststeht: Wer kein hybrides Arbeiten anbietet, wird es schwer haben, neue Fachkräfte zukünftig zu rekrutieren.

Wie das Modell genau aussieht? Eine Patentlösung gibt es nicht und daher sollte es auch kein gesetzlich vorgegebenes Korsett geben. Pauschal zu sagen, die Belegschaft z.B. drei Tage von zu Hause aus und den Rest der Woche im Büro arbeiten zu lassen, ist schlichtweg falsch.

Um ein hybrides Modell zu implementieren, muss jedes Unternehmen für sich selbst zunächst die konkreten Bedürfnisse analysieren. Es gibt kein einheitliches hybrides Modell, das für alle Betriebe und Organisationen funktioniert.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?

Digitalisierung ist ein Enabler für neue Arbeitszeitmodelle.

Fakt ist, ohne Digitalisierung ist eine Umstellung der Arbeitszeitmodelle, wie sie heute gefragt ist, nicht möglich. Um komplexe Änderungen innerhalb von Unternehmen umzusetzen, benötigt man die Unterstützung von Software-Lösungen. Wer resistent gegenüber Mitarbeiter-Apps und Einsatzplanungstools bleibt, wird auf dem Weg hin zu neuen Systemen ins Rudern kommen.

Was sind Ihre Tipps für Unternehmen, die ‘moderne’ Arbeitszeitmodelle gewährleisten wollen?

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

Wer sich an die Implementierung neuer Arbeitszeitmodelle macht, dem sollte bewusst sein, dass dieser Prozess bestens vorbereitet sein sollte. Bevor es losgeht, sind Analysen in Bezug auf Bedarf, Arbeitszeitverhalten, bestehende Prozesse und Regelungen das A und O. Dabei sollten Sie die gesamte Belegschaft mit ins Boot nehmen: Betriebsrat, Führungskräfte, Mitarbeiter*innen, das oberste Management – alle müssen am Ende an einem Strang ziehen, um neue Modelle erfolgreich umzusetzen.

Um mehr über die Bedürfnisse und Wünsche der Arbeitnehmer*innen zu erfahren, empfehle ich Mitarbeiterinterviews. Im Gegensatz zu Umfragen sind Interviews tiefgründiger und geben direkte Impulse zur Lösung.

Stellen Sie sich darüber hinaus folgende Fragen und formulieren Sie konkrete Ziele:

  • Wo wollen Sie hin? Wie soll Ihr Unternehmen in 5 Jahren in Bezug auf Arbeitszeit und Unternehmenskultur aussehen?
  • Bin ich offen und bereit dafür, diesen Schritt zu gehen?
  • Wie viel Zeit brauche ich dafür? Seien Sie dabei realistisch.
  • Welche Software, Tools und Ressourcen benötige ich für diesen Change?
  • Setzen Sie ein Modell erst in einem abgegrenzten Bereich um und investieren Sie alle Ihre Energie in eine erfolgreiche Umsetzung. Wenn dann der Rest der Belegschaft auch so arbeiten möchte, wird die Umsetzung gelingen.

Generell gilt: Seien Sie aktiv und bleiben Sie aufmerksam.

Schritt für Schritt

Sobald Sie die Ziele genau festgelegt haben, gehen Sie sie in Etappen an. Nehmen Sie dabei die gesamte Belegschaft Schritt für Schritt mit.

Fazit

Letztendlich muss jedes Unternehmen seinen eigenen Weg hin zu den richtigen Arbeitszeitmodellen finden. Dabei sollte sowohl der individuelle Bedarf, aber besonders auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen berücksichtigt werden.

Eine einmalige Änderung der Arbeitszeitmodelle reicht aber nicht. Das Umfeld ändert sich heute so schnell, dass bestehende Arbeitszeitmodelle kontinuierlich evolutionär an die neuen Bedürfnisse angepasst werden müssen. Auf lange Sicht sind Unternehmen somit erfolgreicher. Auch die 4 Tage Woche stellt heutzutage eine interessante Alternative dar.

Buchtipp: New Workforce Management

Sie möchten noch mehr zum Thema Arbeitszeit und intelligente Personaleinsatzplanung erfahren?

Burkhard Scherf und Guido Zander geben in ihrem Buch einen Einblick in das Workforce Management von heute.

New Workforce Management

Verwalten Sie die Arbeitszeiten und Schichten Ihrer Mitarbeiter*innen mit Factorial HR!

👉 Jetzt kostenlos testen! 

Schreibtalent, HR-Fan und Trend-Spürnase - das ist unsere Autorin Nicole Steffgen. Sie ist Teil des Content Marketing Teams bei Factorial. Was ihren Content so besonders macht? Ihre Leidenschaft für HR und ihr Fokus auf den Menschen einer Organisation.

Ähnliche Beiträge

Hinterlassen Sie einen Kommentar